Nach dem mutmaßlichen Brandanschlag auf die Ulmer Synagoge hat Rabbiner Shneur Trebnik den Zusammenhalt in der Gesellschaft gelobt. "Die Solidarität und Zivilcourage, die wir in den letzten Stunden erlebt haben, ist enorm und beruhigt uns", sagte der Ulmer Rabbiner am Sonntag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dass ein Passant nicht wegschaue, sondern ohne zu Zögern Polizei und Feuerwehr anrufe und Menschen füreinander einstünden, sei ein wichtiges Signal - auch für seine Gemeinde, die nach der Tat beunruhigt sei und sich Sorgen mache.
Ein Unbekannter soll nach Polizeiangaben am Samstagmorgen versucht haben, ein Feuer an der Synagoge zu legen. Ein Zeuge habe gegen 8 Uhr einen Mann beobachtet, der an der Synagoge eine Flüssigkeit aus einer Flasche auf den Boden goss und anzündete, teilte das Polizeipräsidium Ulm mit. Der Zeuge habe sofort Feuerwehr und Polizei angerufen, Minuten später habe die Feuerwehr die Flammen gelöscht.
Der Sachschaden beschränke sich auf eine verrußte Fassade samt einer Glasscheibe. Die Polizei ermittelt wegen versuchter Brandstiftung, der Staatsschutz wurde hinzugezogen. Wie das Staatsministerium in Stuttgart mitteilte, wurden die Schutzmaßnahmen in Ulm hochgefahren. Außerdem werde geprüft, ob dies aufgrund der aktuellen Situation auch bei anderen jüdischen Einrichtungen im Land nötig ist.
July: "Verabscheuenswürdiger Brandanschlag"
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verurteilte die Tat. Der "niederträchtige Anschlag" zeige "das heimtückische Gesicht des Antisemitismus, dem wir klar und deutlich entgegentreten", erklärte er.
Der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July, sagte dem epd: "Der verabscheuenswürdige Brandanschlag auf die Synagoge in Ulm hat uns tief erschüttert. Das hässliche Gift des Antisemitismus wirkt weiter." Es zeige sich erneut, wie wichtig Aufklärung ist.
Nach Ansicht des Antisemitismusbeauftragten der baden-württembergischen Landesregierung, Michael Blume, müsse man sich auch in Baden-Württemberg der bitteren Wahrheit stellen: Während die allgemeine Kriminalität sinke, radikalisiere sich der Antisemitismus weiter. "Doch diesmal lassen wir unsere jüdischen Gemeinden nicht alleine", sagte Blume dem epd.
Am Samstagabend versammelten sich rund 200 Menschen zu einer spontanen Mahnwache vor der Synagoge. In allen Kirchen Ulms wurde am Sonntagmorgen zudem für die jüdische Gemeinde in Ulm gebetet, anschließend folgte eine Solidaritätsbekundung auf dem Münsterplatz.
Einzelfälle summierten sich zu einer Stimmung
Das Internationale Auschwitz-Komitee warnte vor einer Zerstörung der Demokratie durch Antisemitismus. Mit jedem Anschlag auf jüdische Gebäude und jüdisches Leben wachse die Angst der Überlebenden des Holocaust, dass "die Schlacht gegen den aktuellen Antisemitismus in Wirklichkeit längst verloren ist und sie ihren Kindern und Enkelkindern eine Welt hinterlassen, in der auch ein neues Auschwitz möglich sein kann", erklärte der geschäftsführende Vizepräsident des Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, in Berlin: "Haben die Menschen verstanden, dass auch ihre Demokratie im Strudel dieses antisemitischen Hasses zerstört wird?"
Der Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz in Deutschland erklärte: "Es ist absolut schockierend zu sehen, wie immer unverhohlener und hemmungsloser jüdisches Leben in Deutschland attackiert wird - ausgerechnet am heiligen Schabbat - und diese Angriffe nicht nur weiter zunehmen, sondern auch in immer kürzeren Abständen geschehen." All diese Einzelfälle summierten sich zu einer Stimmung, die nicht zuletzt durch coronabedingte Verschwörungstheorien, digitalen Hass sowie die Präsenz falscher Narrative zum Nahost-Konflikt spürbar antisemitischer und antiisraelischer geworden sei. "Wenn wir alle nicht mit Hand, Kopf und Herz dagegen ankämpfen, droht das Gift des Antisemitismus unsere Gesellschaft zu zerfressen."