Zumal Hauptfigur Lars (Daniel Donskoy) das Problem nicht einfach ignorieren kann: Gattin Melanie (Lisa Bitter) ist überzeugt, dass die Pandemie Teil eines großen Plans ist. Ihre Quelle ist der YouTube-Kanal "Veritas", dessen Betreiber, Rüdiger Borst (August Zirner), unter der Devise "Was du nicht wissen darfst" seinen Anhängern den Weg zu einer neuen Weltordnung offenbart: Wenn mit Hilfe des von den Eliten dieser Welt initiierten Projekts "The Great Reset" das Problem Überbevölkerung gelöst ist, wird auch der Klimawandel kein Thema mehr sein; sämtliche Arbeiten werden in Zukunft von Maschinen übernommen. Borst hat einen seiner Ansicht nach "unwiderlegbaren Beweis" für seine These: Im Netz kursiert das Video eines "Black Rock" genannten asteroid-ähnlichen Himmelskörpers, der nach Ansicht der Verschwörungssektierer in Wirklichkeit ein Satellit ist. Hier werden Daten eingespeist, die von den Rauchmeldern gesammelt werden. Auf diese Weise sollen die Voraussetzungen für ein noch effizienteres Virus geschaffen werden.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Schon allein für diese Science-Fiction-Geschichte gebührt Zarah Schrade (Buch) und Matthias Thönnissen (Buch und Regie) Respekt. Außerdem hat das Duo der Versuchung widerstanden, sich über Melanie und all’ die anderen Wirrköpfe lustig zu machen. Im Unterschied zum bizarren Verschwörungsmodell ist der Ansatz des aus sechs Kapiteln bestehenden Films sehr lebensnah: Lars kann die Verirrungen seiner Frau nicht einfach ignorieren, weil sie unter immer wieder neuen Vorwänden dafür sorgt, dass der gemeinsame siebenjährige Sohn Janosch (Emil Brosch) nicht in die Schule geht. Sie hat gelesen, dass das Tragen des Mund/Nasenschutzes die Entwicklung der Lunge beeinträchtigt; in England seien schon zwei Kinder wegen der Maske gestorben. Immerhin gönnt sich das Drehbuch zwischendurch einen Seitenhieb auf Menschen, die sich an der Pandemie bereichern: Obwohl die verschuldete Familie kaum über die Runden kommt, wäre Melanie bereit, einer skrupellosen Händlerin (Katerina Jacob) 129 Euro für eine angeblich sichere Maske in den Rachen zu werfen; dabei handelt es sich um ein stinknormales 50-Cent-Produkt, an das die Frau ein Fantasie-Label getackert hat. Rauchmelderattrappen hat sie selbstredend ebenfalls im Angebot. Ansonsten konzentriert sich die Handlung jedoch auf die zunehmende Entfremdung des Paares, unter der vor allem der kleine Sohn leidet: Seine Mutter hat ihm eingetrichtert, der schwarze Satellit werde alle holen, die eine Maske tragen. Kein Wunder, dass ihre Freundin Franzi (Amanda da Gloria) nichts mehr mit ihr zu tun haben will; sie ist Krankenschwester und auf der Intensivstation Tag für Tag mit dem Leid konfrontiert, das das Virus verursacht. Lars sieht nur eine Möglichkeit, die Ehe zu retten: Er muss der Sache mit "Black Rock" auf den Grund gehen. Dabei findet er heraus, dass der Brocken im Orbit tatsächlich ein künstlich geschaffenes Objekt ist, aber die Wahrheit über den Ursprung ist ungleich verblüffender, als er sich vorstellen konnte.
"Schlafschafe" ist wie zuvor bereits die Webserie "Drinnen - Im Internet sind alle gleich" oder die Kurzfilmreihe "Liebe. Jetzt!" (beide 2020) im Rahmen der ZDF-Initiative "Instant Fiction" entstanden. Auf diese Weise kann innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit auf aktuelle Themen reagiert werden, weil anders als beim klassischen Fernsehfilm von der Idee bis zur Ausstrahlung nicht zwei Jahre vergehen. Das beschleunigte Produktionsprinzip geht allerdings mit einer Reduktion von praktisch allem einher: Das Ensemble ist überschaubar, gedreht wird überwiegend drinnen, Aufwand und Umsetzung wirken insgesamt sehr sparsam. Trotzdem spricht nichts dagegen, die Dramaserie im Sommer um 20.15 Uhr zu wiederholen, selbst wenn die elektronische Musik (Florian Kreier, Cico Beck) etwas gewöhnungsbedürftig ist. Abgesehen von einer Einstellung aus der Kloperspektive, als das Ehepaar über den Stuhlgang des Sohnes fachsimpelt, ist Thönnissens Umsetzung ohnehin sehr konventionell. Abzüge in der B-Note gibt es dagegen für die Idee, Donskoy und Bitter die Ereignisse immer wieder Richtung Kamera kommentieren zu lassen; das stört den Handlungsfluss und ist inhaltlich in den meisten Fällen völlig überflüssig. "Schlafschafe" steht ab 10 Uhr in der ZDF-Mediathek.