Der Film könnte auch "In seinem Schatten" heißen: Charlotte war einst eine talentierte Pianistin. Bei einem Klavierwettbewerb hat sie zwar keinen Preis gewonnen, aber mit dem Dirigenten Walter Kler (Peter Simonischek) die große Liebe gefunden. Seither hat sie ihr eigenes Leben konsequent dem seinen untergeordnet: Dank Walters Weltruhm hat das Paar die letzten Jahrzehnte auf fast allen Kontinenten verbracht. Nun sind die beiden nach München zurückgekehrt, um zum Lebensabend endlich sesshaft zu werden. Charlotte freut sich darauf, viel Zeit mit Tochter und Enkelin zu verbringen. Als sie durch Zufall erfährt, dass der Gatte mit einem Engagement in New York liebäugelt, ist ihre scheinbar grenzenlose Geduld am Ende.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Damit der Film nicht komplett in Tristesse versinkt, hat das Drehbuch die Geschichte um eine weitere wichtige Figur ergänzt. Kaum hat das Ehepaar Kler das neue Domizil bezogen, steht ein Mann mit einem Eimer vor der Tür: Martin Scherer (Thomas Thieme) hat eine ungewöhnliche Bitte. Seine kürzlich verstorbene Frau ist in diesem Haus aufgewachsen; als Grabbeigabe hat sie sich etwas Erde aus dem Garten ihrer Kindheit gewünscht. Der lebenskluge pensionierte Bademeister und die Gattin des prominenten Dirigenten leben in völlig unterschiedlichen Welten. Trotzdem entwickelt sich recht bald eine emotionale Nähe, und nun kommt das Drama zu jenem Thema, an dem auch ein Publikum anknüpfen kann, das deutlich jünger ist: Charlotte fühlt sich von Walter schon lange nur noch als Haushälterin und Sekretärin wahrgenommen; Martin dagegen sieht sie und hört ihr zu. Beim Gegenbesuch lädt er sie zu Kaffee und Kuchen an seinem früheren Arbeitsplatz im Freibad ein; Senta Berger genügen Nuancen, um zu vermitteln, dass Charlotte zum ersten Mal seit langer Zeit etwas erlebt, das nichts mit dem Beruf ihres Mannes zu tun hat. Walter wiederum, dem bei aller Ichbezogenheit nicht entgeht, welche Bedeutung die "kitschige Gefühlsduselei" für seine Frau hat, sorgt dafür, dass der lästige Nebenbuhler nicht mehr auftaucht.
"An seine Seite" ist der erste Langfilm von Felix Karolus, und es ist nur auf den ersten Blick überraschend, dass das ZDF dieses Prestigeprojekt einem Debütanten überlassen hat. Das Drehbuch, bei dem sich Karolus durch Florian Iwersen unterstützen ließ, basiert auf seinem mehrfach ausgezeichneten und von der Deutschen Film- und Medienbewertung als "Besonders wertvoll" eingestuften Kurzfilm "Menuett" (2018), der im Prinzip die gleiche Geschichte erzählt, allerdings ohne die Rolle des Dirigenten; hier ist die weibliche Hauptfigur verwitwet. Davon abgesehen ist "An seiner Seite" personell eine Art "Spin-off" der mittlerweile eingestellten ZDF-Krimireihe "Unter Verdacht": Neben Hauptdarstellerin Senta Berger sowie weiteren Beteiligten hinter der Kamera war Karolus bei den meisten Episoden als Regieassistent dabei, Iwersen hat diverse Drehbücher dazu geschrieben, Wolfgang Aichholzer war mehrfach für die Bildgestaltung verantwortlich. In dem Ehedrama sorgt der renommierte Kameramann dafür, dass im Haus der Klers auch dank der düsteren Ausstattung (Verena Barros de Oliveira) eine eher bedrückende Atmosphäre herrscht; kein Wunder, dass die Freibadszene wie eine Befreiung wirkt.
Trotz der ausgezeichneten Arbeit aller Gewerke: Seine herausragende Qualität verdankt der Film dem Ensemble. Gerade die drei Hauptrollen sind perfekt besetzt. Peter Simonischek hat das passende Format für den Maestro, der über den kleinen Dingen des Lebens schwebt und gar nicht mitbekommt, welchen Preis Charlotte für seinen Erfolg zahlt. Thomas Thieme wiederum versieht den verwitweten früheren Leistungsschwimmer mit leisem Humor und viel Empathie, und Senta Berger gehört ohnehin zu den wenigen Schauspielerinnen, die scheinbar einfach nur gucken müssen, um ein Publikum zu fesseln. Weit mehr als bloß Stichwortgeberin sind die zudem die drei jungen Frauen: Antje Traue als Charlottes Tochter, die der Mutter bis heute nicht verzeihen kann, dass sie Kindheit und Jugend in einem Internat verbringen musste; Marlene Morreis als Martins Tochter, die dem Vater übelnimmt, dass er kurz nach der Beerdigung mit einer neuen Frau anbandelt; und schließlich Laila Padotzke, von der noch viel zu sehen sein wird, als zornige Enkelin, die keine Zeit für die Großmutter hat, weil sie die Welt retten will.
Eine besondere Rolle spielt naturgemäß auch die Musik. "An seiner Seite" beginnt akustisch opulent, als Walter im Herkulessaal der Münchner Residenz das Klavierkonzert Nr. 2 von Rachmaninoff dirigiert. Die eigentliche Filmmusik von Renzo Vitale ist dagegen deutlich sparsamer, setzt aber mit zärtlichen Klavierklängen immer wieder Akzente. Vitale hat auch die Piano-Improvisation komponiert, die von Walters Orchesterliebling dargeboten werden; Petra Michelle Nérette hinterlässt als zukünftige Star-Pianistin ebenfalls einen bleibenden Eindruck.