epd: Am letzten Abend des 3. Ökumenischen Kirchentags, am 15. Mai, dürfen Christinnen und Christen gleich welcher Konfession in einzelnen Gemeinden an Abendmahl und Eucharistie teilnehmen, wenn sie dies mit ihrem Gewissen vereinbaren können - und wenn die Corona-Pandemie dies zulässt. Ist das etwas völlig Neues, gar eine ökumenische Sensation?
Martin Bräuer: Es geht hier um konfessionelle Gottesdienste, keine neue Liturgie wie es etwa bei der Lima-Liturgie der Fall war. Diese konfessionellen Gottesdienste sollen aber ökumenisch sensibel gestaltet werden. Auf katholischer Seite akzeptiert man, dass evangelische Christen kommen. Auf evangelischer Seite wird garantiert, dass ein ordinierter Amtsträger das Abendmahl leitet und dass man gut und würdig mit den Abendmahlsgaben Wein und Brot umgeht. Das ist insofern neu, als dass man das zum ersten Mal in dieser Form so macht, und das ist ein wichtiger Schritt! Besonders für die katholische Seite ist dies ein bedeutender Schritt, weniger für die evangelische Seite, die schon seit längerer Zeit Christen anderer Konfessionen zu ihren Abendmahlsfeiern einlädt.
Inwiefern ist das ein bedeutender Schritt für Katholiken?
Bräuer: Die katholischen Bischöfe hatten 2018 die Orientierungshilfe „Mit Christus gehen. Der Einheit auf der Spur“ zur Abstimmung vorgelegt. Über diesen Text kam es zwischen der Mehrheit der katholischen Bischöfe und einer Minderheit zu einem heftigen Konflikt und führte letztlich dazu, dass es den einzelnen Bistümern überlassen wurde, ob und gegebenenfalls wie sie diesen Text in ihrer pastoralen Praxis rezipieren. In diesem Text geht es darum, ob nichtkatholische Christen im Falle einer konfessionsverbinden Ehe unter bestimmten Bedingungen zur Kommunion in einer katholischen Messe mitgehen dürfen, aber katholischen Ehepartnern wurde die Teilnahme an evangelischen Abendmahlsfeiern nicht offiziell gestattet.
"Ein großer und ein weiterer wichtiger Schritt"
Es ist deshalb ein großer Schritt für die katholische Seite, den man auf dem Ökumenischen Kirchentag geht. Denn hier wird die Personengruppe nicht mehr auf konfessionsverbindende Paare begrenzt, sondern nichtkatholische Christen und katholische Christen, die ihr Gewissen geprüft haben, können an der evangelischen Abendmahlsfeier und der katholischen Eucharistiefeier teilnehmen. Insofern ist das ein weiterer wichtiger Schritt.
Wo liegen die Grenzen dieser Regelung?
Bräuer: Es bleibt dabei, dass der Einzelne nach wie vor sein Gewissen prüfen muss und dann zu einer geistlichen Entscheidung kommt. Insofern geht es auch hier weiter um einzelne Ausnahmen, nicht um eine generelle Öffnung. Es ist kein gemeinsames Abendmahl, weil dies vollständige Kirchengemeinschaft voraussetzen würde, die es noch nicht gibt. Aber es ist ein wichtiger Schritt weiter, und er geschieht auch aus Respekt vor den Grenzen des anderen.
Es ist also auch keine gegenseitige Einladung?
Bräuer: Nein, wenn ein Protestant in eine katholische Messe geht und vor seinem Gewissen alles geprüft hat und zur Entscheidung kommt, dass hier in allem, was geschieht, Christus leibhaftig gegenwärtig ist, dann wird er zwar nicht eingeladen, aber seine Entscheidung wird respektiert und er wird auch nicht abgewiesen. Es bleibt die Gewissensentscheidung des Einzelnen. Das ist der entscheidende Punkt.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass dies in vielen katholischen Gemeinden bereits seit Jahren geschieht. Gibt es dazu Zahlen?
Bräuer: Was die Zahlen angeht, da bin ich überfordert. Aber es gibt diese Praxis in beiden Kirchen, und das weiß jeder, auch die Bischöfe und der Papst.
Werden die offenen Mahlfeiern auf dem ÖKT zu einer Reaktion des Vatikans führen?
"Ich glaube ich eher nicht, dass es zu Reaktionen des Vatikans kommen wird"
Bräuer: Noch einmal: es handelt sich hier nicht um offene Mahlfeiern, es gibt keine Einladung von katholischer Seite an nichtkatholische Christen. Ich bin natürlich kein Prophet, aber das glaube ich eher nicht, dass es zu Reaktionen des Vatikans kommen wird. Dessen Position ist ja hinlänglich bekannt. Es könnte eine Reaktion geben, wenn es eine offizielle Einladung gäbe. Aber eine solche gibt es nicht. Sicherlich wird man das Geschehen im Vatikan beobachten.
Hätten die Veranstalter des ÖKT nicht eine klare Einladung zu den Mahlfeiern aussprechen können?
Bräuer: Das ist nicht so einfach, da muss man die katholische Seele verstehen, beziehungsweise das katholische Denken. Das Tun vor Ort hat immer Auswirkungen auf die Gesamtkirche. Der Spielraum einer katholischen Ortskirche ist nicht vergleichbar mit dem Spielraum einer evangelischen Landeskirche. Das muss man verstehen, und es braucht in diesem Fall von evangelischer Seite Verständnis und Empathie für die katholische Seite. Wenn man hier in dieser Frage weiterkommen will, darf der eine ökumenische Partner den anderen nicht überrumpeln. Dieser Schritt, der nun auf dem ÖKT gegangen wird, ist schon sehr bedeutsam.
Werden die großen Kirchen in ihren Bemühungen für ein gemeinsames Abendmahl denn jemals weiterkommen?
Bräuer: Das Thema Abendmahl kann man nicht so isoliert sehen. Auf katholischer Seite ist das Thema - wie auch bei den orthodoxen Kirchen - eng verwoben mit dem Amts- und Kirchenverständnis. Die gemeinsame Mahlfeier ist offiziell dann möglich, wenn Kirchengemeinschaft bzw. Kircheneinheit erreicht ist.
"Es muss weiter daran gearbeitet werden"
Aber es gibt auch den seelsorgerlichen Aspekt: Wie kann man den Leuten helfen, etwa in konfessionsverschiedenen Ehen, wie kann man denen Wege öffnen? Da finde ich dieses Modell, das da jetzt gefunden wurde, einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Aber es muss weiter daran gearbeitet werden.
Wie lange wird es noch dauern, bis Protestanten und Katholiken offiziell gemeinsam zu Abendmahl oder Eucharistie gehen können?
Bräuer: Ich kann auch hier keine Prognose abgeben, so sehr ich mir eine solche Vereinbarung wünschen würde. Aber das sind Prozesse, die bisweilen Zeit brauchen. Vergessen Sie nicht, dass auch die Lutheraner und Reformierten rund 450 Jahre bis zur Abendmahlsgemeinschaft gebraucht haben. Noch nicht mal, als die Evangelische Kirche in Deutschland 1948 gegründet wurde, konnten Reformierte und Lutheraner gemeinsam das Abendmahl empfangen. Darauf hat man sich erst 1973 mit der Leuenberger Konkordie geeinigt. Und das ist knapp 50 Jahre her.