Ein früherer Berliner Top-Journalist landet als Abendschullehrer in Marzahn, wo er auf eine renitente Klasse trifft: Das war der Handlungskern von "Extraklasse" (2018). Axel Prahl hatte sichtlich Spaß an der Hauptfigur: Anfangs hält es Ralph Friesner für unter seiner Würde, "Kevin und Chantal" zum Hauptschulabschluss zu verhelfen, aber dann wandelt sich der Zyniker zum Pädagogen mit Herz.
Matthias Tiefenbacher hatte mit Prahl zuvor neben einigen "Tatort"-Episoden aus Münster auch "Die Lichtenbergs – Zwei Brüder, drei Frauen und jede Menge Zoff" (2014, ZDF) gedreht, eine Komödie, in der Prahl quasi vier Rollen spielen durfte, weil ein Zwillingspaar die Rollen tauschte. Nicht zuletzt dank des vermutlich blinden Verständnis’ zwischen Regisseur und Hauptdarsteller war "Extrablatt" ein besonderer Film, zumal Tiefenbacher, der auch das Drehbuch geschrieben hatte, den zunächst klischeehaften Figuren der Klassenmitglieder nach und nach Tiefe verlieh.
Das Wiedersehen mit Ralph Friesner ist allerdings etwas ernüchternd. "Extraklasse 2+" wirkt wie ein zweiter Aufguss. Das Strickmuster ist recht ähnlich. Erneut konfrontiert das Drehbuch (Johann Bunners, Martin Douven) den Pädagogen mit Charakteren, die sich von den Klischees ihrer Rollen emanzipieren: Die in Pflegefamilien aufgewachsene Junkie-Tochter Sandra (Cosima Henman) entpuppt sich als talentierte Schreiberin, der obdachlose Walter (Hans-Martin Stier) hat einst als Musiker die ganze Welt bereist, und Kirgisin Gülmira (Ruzica Hajdari), die davon träumt, dass ihre Tochter mal Medizin studiert, muss damit klar kommen, dass das Mädchen ganz andere Pläne hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das ist alles ganz nett und abwechslungsreich, aber es fehlt das große Ganze. Der erste Film handelte im Wesentlichen von der Metamorphose des anfänglichen Antihelden, aber die ist ja nun vollzogen, weshalb "Extraklasse 2+" keine Geschichte, sondern viele Geschichtchen erzählt; entsprechend episodisch ist auch das Drehbuch strukturiert.
Wenn sich Friesner nicht gerade seiner Vermieterin (Katharina Thalbach) erwehren muss, sorgen neben einem Klassenausflug in einen "Escape Room" oder einem Poetry Slam in erster Linie seine kleinen Scharmützel mit Chefin Dörte (Aglaia Szyszkowitz) für Abwechslung. Eigentlich sind die beiden ein potenzielles Liebespaar, aber ein Missverständnis hat dafür gesorgt, dass während der Sommerferien Funkstille herrschte.
Immerhin wecken merkwürdige Vorkommnisse den journalistischen Instinkt des Lehrers: Wegen eines Wasserschadens muss die Schule auf einen modernen Campus im vornehmen Charlottenburg umziehen, wo die zukünftigen Banker, wie Friesner sarkastisch anmerkt, nun ihre Putzkräfte kennenlernen können. Direktor van de Veede (Stephan Kampwirth) ist ihm ohnehin auf Anhieb unsympathisch. Als noch weitere Schulen schließen müssen, erwacht seine berufliche Neugier. Gemeinsam mit Kioskbesitzer Gökdal (Vedat Erincin) findet er heraus, dass der Mann gewaltigen Dreck am Stecken hat. Der Recherchepartner fungiert diesmal auch als Freund und Ratgeber; Simon Schwarz, der diese Rolle im ersten Spiele innehatte, wirkt leider nicht mehr mit.
Wer nicht allzu viel Tiefgang erwartet, wird sich trotzdem gut unterhalten fühlen, schließlich versteht Tiefenbacher sein Handwerk; immerhin hat er eine Vielzahl sehenswerter Krimis, Komödien und Dramen inszeniert. Auch das Ensemble ist durchweg sehenswert. Cosima Henman knüpft als rotzige Göre zwar nahtlos an ihre Rolle in der RTL-Serie "Der Lehrer" an, spielt das aber prima, zumal Sandra eine wichtige Brückenfunktion hat, als sie sich ausgerechnet in van de Veedes wohlstandsverwahrlosten Sohn (Anselm Bresgott) verliebt.
Die junge Kriminelle ist neben Friesner ohnehin die Figur mit dem größten Spektrum: Einerseits macht sie dem verliebten Norbert (Nico Randel), einem Mitschüler mit Trisomie 21, ziemlich rücksichtslos klar, dass er die berufliche Zuwendung seiner Betreuerin mit Zuneigung verwechselt, andererseits schützt sie mit ihrer ruppigen Art selbstverständlich ihren weichen Kern; ein Verhalten, das Friesner ziemlich gut von sich selber kennt.
Die Bilder (Kamera: Hanno Lentz) sind so schön anzuschauen, dass selbst Walters Bleibe unter freiem Himmel heimelig wirkt. Die Reggae-geprägte Musik des Komponistenduos Biber Gullatz und Andreas Schäfer ist ohnehin klasse. Einige Gags wirken allerdings derart preiswert, als wären sie vom Laster gefallen.