Die Geschichte wirkt zunächst ohnehin nicht sonderlich kompliziert: Als die vermögende Unternehmer-Witwe Elisabeth Klingler-Rathmann (Marie Anne Fliegel) die Treppe runterstürzt, schwärzt Tochter Gesine (Jenny Schily) umgehend die Gesellschafterin ihrer Mutter bei der Polizei an. Die beiden alten Frauen haben kurz zuvor geheiratet. Elena Zelenko (Wieslawa Wesolowska) würde nicht nur die prächtige Villa, sondern auch Anteile am familiären Traditionsbetrieb erben; das Unternehmen ist seit 80 Jahren für seine Schwarzwälder Schokokirschen berühmt.
Das klingt nach einem handelsüblichen Krimi über die Missgunst unter den Menschen: Selbstredend halten die Geschwister die "dahergelaufene Russin" für eine Erbschleicherin, zumal Elisabeth später im Krankenhaus ihren Verletzungen erliegt. Allerdings hat sich Elena im Gegensatz zu den Kindern hingebungsvoll um deren Mutter gekümmert. Die Hochzeit mag nicht aus Liebe, sondern vor allem aus taktischen Gründen erfolgt sein, damit sie die Villa steuerfrei erbt, doch die beiden alten Frauen waren weit mehr als Arbeitgeberin und Angestellte.
Als Erbin würde Elena nur dann ausscheiden, wenn sie "erbunwürdig" wäre, sprich: Wenn ihr der Mordversuch nachgewiesen werden könnte. Gerade Sohn Richard (Jan Messutat) braucht zudem dringend Geld, weil er sich bei einem windigen Bauprojekt auf Zypern mit äußerst zwielichtigen Geschäftspartnern eingelassen hat. Als Elena eines Morgens ertrunken in einem Waldsee gefunden wird, fällt der Verdacht selbstredend auf ihn, zumal sein Alibi auf wackligen Beinen steht: Angeblich hat er die Nacht mit Haushälterin Zofia (Janina Elkin) verbracht; sie ist seine Geliebte und hatte mit ihrer Aussage bereits die Gesellschafterin belastet.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Bis hierhin taugt der Inhalt von "Was wir erben" im Grunde bloß für eine Serienepisode. Über sich hinaus weist der "Tatort" erst, als die Firmenvergangenheit ins Spiel kommt und sich rausstellt, dass Elena die Tochter von Zwangsarbeitern ist, die während des Zweiten Weltkriegs für das Unternehmen arbeiten mussten und unter menschenunwürdigen Bedingungen in einem Lager hausten. Besonders grausam war der Umgang mit den Kindern, die die Frauen im Lager zur Welt brachten.
Weil das alles aber allzu abstrakt bleibt, gelingt es dem Drehbuch nicht, Elenas Schicksal auf wirklich berührende Weise zu erzählen. Das war beim letzten Film von Franziska Schlotterer ganz anders: Mit ihrem Drama "Totgeschwiegen" (2020, ZDF) über die Tötung eines Obdachlosen durch drei Jugendliche hat die Regisseurin die Eltern der Teenager wie auch das Publikum sehr nachvollziehbar mit einem moralischen Dilemma konfrontiert.
Das Drehbuch zu "Was wir erben" stammt von Patrik Brunken, der auch schon den zweiten "Tatort" für das Freiburger Duo Tobler und Berg (Eva Löbau, Hans-Jochen Wagner) geschrieben hat. "Sonnenwende" (2018) brauchte ebenfalls ein bisschen Anlauf, entwickelte sich dann aber zu einer düsteren Blut-und-Boden-Geschichte.
Dass sich diesmal anders als damals nicht besonders viel entwickelt, hat auch mit den Hauptfiguren zu tun, die allesamt keine Tiefe bekommen, weil sie letztlich auf jeweils einen Aspekt reduziert bleiben: hier der gierige Sohn, dort die Tochter, der das Wohl der von ihr geleiteten Firma deutlich mehr am Herzen lag als ihre Mutter. Die interessanteste Rolle hat die junge Johanna Polley: Enkelin Toni ist nicht nur die einzige, die Elisabeth wirklich vermisst, sie steht auch trotz der Anschuldigungen zu Elena; aber ausgerechnet sie greift auf tragische Weise in den weiteren Verlauf der Ereignisse ein.
Selbst wenn die komplizierte deutsche Erbgesetzgebung einigen Erklärungsbedarf mit sich bringt: Der Film hätte trotzdem ein zumindest ordentlicher Krimi werden können - aber auch die Inszenierung ist über weite Strecken einfallslos.
Die Handlung trägt sich größtenteils in der Villa und im Kommissariat zu; zwischendurch sitzen Tobler und Berg im Auto und fahren mal hierhin, mal dorthin. Das wirkt alles sehr sparsam, was sicher auch mit dem Drehen unter Pandemiebedingungen zu tun hat, und natürlich hat es auch schon sehenswerte Kammerspielkrimis gegeben; "Was wir erben" gehört jedoch nicht dazu.