Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune, die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea. Und ich wandte mich um, zu sehen nach der Stimme, die mit mir redete. Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich, der war angetan mit einem langen Gewand und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle, wie Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße gleich Golderz, wie im Ofen durch Feuer gehärtet, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen; und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht. Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot; und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. Schreibe, was du gesehen hast und was ist und was geschehen soll danach. Das Geheimnis der sieben Sterne, die du gesehen hast in meiner rechten Hand, und der sieben goldenen Leuchter ist dies: Die sieben Sterne sind Engel der sieben Gemeinden, und die sieben Leuchter sind sieben Gemeinden.
Offenbarung 1,10−20 Hier vorgelesen von Helge Heynold.
Liebe Lebendige,
„Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt!“ Das ist der Gruß, den der Seher Johannes an den Anfang seiner Offenbarung stellt. Johannes schreibt an sieben christliche Gemeinden in der Provinz Asia, also in der heutigen westlichen Türkei. Er schreibt ihnen, was er gesehen hat, welche Visionen Gott ihn schauen ließ. Die sieben Gemeinden erleben schlimme Verfolgung und Unterdrückung durch die Römer. Johannes beschreibt ihnen das, was gerade geschieht, als den großen letzten Kampf des Bösen gegen das Gute. Die Kräfte der Welt und der Unterwelt treten gegen die des Himmels an. Das Ende der Welt hat begonnen. Willkommen in der Apokalypse!
Es ist kein Wunder, dass sich bis heute Romane, Filme, Videospiele und Graphic Novels der Bilder bedienen, die Johannes in seiner Apokalypse benutzt. Sie sind dermaßen gewaltig und durch die Jahrhunderte so in unser kulturelles Gedächtnis eingedrungen, dass auch beinahe 2000 Jahre später einige Menschen Angst bekommen, wenn ihnen die Zahl 666 mehrmals hintereinander ins Auge springt. Es ist die „Zahl des Tieres“, das Hörner wie ein Lamm hat und redet wie ein Drache. Wie der rote Drache, der die schwangere Frau verfolgte, die mit der Sonne bekleidet war, den Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone aus zwölf Sternen. Wer Anregungen für besonders fantastische Erzählungen sucht, wird in der Apokalypse des Johannes fündig. Allerdings wollte Johannes keine Fantasygeschichte erzählen, an der man sich mit Schaudern erfreuen kann. Stattdessen hoffte er darauf, dass diejenigen, denen er schrieb, seine Zeichen genau dechiffrieren würden. Immer wieder schreibt er Anmerkungen in den Text wie: „Hier ist Weisheit! Wer Verstand hat, der überlege.“ (Offb 13,18)
Der Code, den man zum genauen Dechiffrieren der Offenbarung nutzen könnte, liegt uns nicht mehr vor – wenn es ihn überhaupt je gegeben hat! Hunderte und Aberhunderte von Jahren haben Menschen sich daran versucht, aus den Zahlen des Buches und seinen Bildern Berechnungen und Prognosen abzuleiten. Die Apokalypse lädt dazu ein, aber sie verteidigt sich seit jeher tapfer dagegen, sich eindeutig auslegen zu lassen. Sie ist ein Buch der Bilder, der Metaphern, der Zeichen. Zeichen, die über sich selbst hinausweisen auf etwas Größeres. In der Bibel gibt es ohne Zweifel Texte, die einfach von etwas erzählen wollen. Die Offenbarung aber will mit Sicherheit nicht beschreiben, sondern Zeichen setzen. Wer an einem Freitag einen Grill in der Fußgängerzone anzündet und einen Globus darauf röstet, will in der Regel nicht dazu aufrufen, es ihm gleich zu tun. Er hat wahrscheinlich auch nichts gegen Globen und will den höchstwahrscheinlich auch nicht verspeisen, sobald er gar ist. Selbst wenn man als Beobachter dieser Aktion nichts von den Motiven und Zielen der Fridays-for- Future-Bewegung weiß, kann man sich denken, dass er hier darum geht, auf etwas anderes, etwas Größeres hinzuweisen.
Wir können davon ausgehen, dass auch die Szene, die Johannes hier beschreibt, über sich hinausweisen will. Das ist sehr befreiend, denn wir können diese Bilder in unseren Köpfen betrachten, ohne uns einzureden, Johannes wolle uns beschreiben, wie der auferstandene Jesus aussieht. Seine Haare sind nicht deswegen weiß, weil Jesus seine Haarfarbe vor der Auferstehung veränderte, sondern weil Weiß die Farbe des Lichts ist. Wir können heute noch hinzufügen: Weiß ist die Farbe aller Farben des Lichts. Aus seinem Mund geht ein zweischneidiges Schwert hervor, weil die Frage, ob man sich zu Jesus Christus bekennt, die Welt spaltet, oder weil sie über Tod oder Leben entscheidet. Oder weil die Situation gerade auf des Messers Schneide steht? Oder weil Jesu Worte in das menschliche Leben dreinschlagen wie ein Schwert? Lesen Sie diese Begegnung mit dem Auferstandenen noch einmal ganz aufmerksam durch und fragen Sie sich bei jeder Beschreibung, worauf sie wohl hinweisen könnte!
Und nun möchte ich Sie auf etwas hinweisen, das ich sehr spannend finde, weil es erzählerisch raffiniert ist. Wir befinden uns hier am Anfang eines extrem fantastischen, beängstigenden und blutrünstigen Buches. Wer aber genau hinschaut, kann bereits hier entdecken, dass es gut ausgehen wird. Johannes sieht und hört hier den auferstandenen Jesus Christus, der so beeindruckend daherkommt, dass Johannes wie tot zu Boden fällt. Als Jesus ihn anspricht, sagt er ihm unter anderem: „Ich habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.“ Das bedeutet doch, dass alles, was von nun an aus der Unterwelt kriechen wird, allein deswegen erscheint, weil Jesus es lässt. Alles verläuft nach Plan, nach Gottes Heilsplan. Fast könnte man diese Notiz einen „Spoiler“ nennen, also einen Hinweis, der bereits am Anfang eines Textes die Pointe verrät. Aber für alle, die gerade leiden und bedrückt sind, ist es ein Versprechen: Am Ende wird es gut, so viele Bestien auch auftauchen werden!
Zur Wochenaufgabe: Malen Sie ein Zeichen der Hoffnung! Es ist gleich, wie viel Aufwand Sie betreiben möchten, sei es eine Skizze mit Bleistift auf einen Notizzettel, sei es Öl auf Leinwand oder Lippenstift auf Kaffeefilter. Malen Sie ein Zeichen, das über sich selbst auf eine Hoffnung hinweist. Und dann verschicken Sie es – per Post, per E-Mail oder Messengerdienst, oder Sie bringen es jemandem vorbei. Wenn Sie Freude daran haben, tun Sie es siebenmal, wie die sieben Engel der sieben Gemeinden.
Viel Freude wünsche ich Ihnen und eine gesegnete Woche!
Ihr Frank Muchlinsky