Bremen (epd). Der Bevölkerungsforscher Reiner Klingholz sieht nur in einer deutlichen Abkehr der Industrienationen vom stetigen Wirtschaftswachstum eine Chance, die Klimakatastrophe aufzuhalten. "Die Abhängigkeit vom Wachstum macht eine nachhaltige Wirtschaftspolitik geradezu unmöglich", sagte Klingholz dem Bremer "Weserkurier" (Sonntag). Das Corona-Jahr habe gezeigt, dass weniger Verbrauch und weniger Schadstoffausstoß enorme Schulden verursacht habe. Wenn die Menschen im derzeitigen Wirtschaftssystem wirklich nachhaltig leben und somit auf einen großen Teil des Wohlstands verzichten wollten, würde die Wirtschaft kollabieren. Deshalb sei es an der Zeit einzusehen, "dass wir nachweislich auf dem falschen Weg sind".
Klingholz, der von 2003 bis 2019 das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung leitete, sieht in der Corona-Krise eine Chance zum Umdenken: "Haben die Deutschen entdeckt, dass es auch mal reicht, im eigenen Land Urlaub zu machen? Dass Konsum nicht glücklich macht? Dass grenzenlose Mobilität auch die Mobilität von neuen Krankheitserregern bedeutet?" Er forderte die Bürger auf, der Politik zu signalisieren, "dass wir bereit sind zu konsequenten, zunächst aber einmal unpopulären Schritten in Richtung einer besseren Welt". Zugleich wünsche er sich, dass die Politik das Verhalten der Menschen in einem nachhaltigen Sinne stärker regeln würde.
Allerdings räumt der Wissenschaftler auch ein, dass das menschliche Gehirn nicht dafür gemacht sei, auf langfristige, sich aufschaukelnde, globale Veränderungen zu reagieren. "Wir lernen gut, wenn es wehtut und wenn wir den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung klar erkennen. Deshalb verbrennen wir uns an der heißen Herdplatte nur einmal." Dieses Prinzip funktioniere aber eben schlecht bei Herausforderungen wie Klimawandel, Artensterben oder auch Corona, sagte Klingholz, dessen Buch "Zu viel für diese Welt - Wege aus der doppelten Überbevölkerung" am Montag erscheint.