TV-Tipp: "Nachtschicht: Blut und Eisen"

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TV-Tipp: "Nachtschicht: Blut und Eisen"
Montag, 29. März, ZDF, 20.15 Uhr
ARD und ZDF werden oft dafür kritisiert, dass sie nicht die Wirklichkeit abbilden: weil ihre Filme und Serien ignorieren, wie buntgemischt die Bevölkerung ist. Das ZDF kontert gern mit dem Hinweis auf "Nachtschicht". Tatsächlich ist Lars Beckers 2003 gestartete Reihe ein Vorbild an Diversität, und das nicht nur wegen der Besetzung des Ermittler-Teams.

Auch die Episodengäste sind traditionell ebenfalls Schauspieler:innen mit allen möglichen Migrationsgeschichten. In "Blut und Eisen" greift Becker die Thematik auch inhaltlich auf: Der Koch Kevin Kruse (Aurel Manthei) stellt nach vielen Bewerbungen, bei denen ihm angeblich "Ausländer" vorgezogen worden sind, ein Video ins Netz, in dem er maskiert mit einer Pistole rumfuchtelt und wüste Drohungen ausstößt.

Der Film macht umgehend die Runde, sodass die Kunde auch Mübariz Pettekaya (Kais Setti) erreicht, den Personalchef einer Imbisskette, und zwar just in dem Moment, als Kevin vor ihm sitzt. Er ruft die Polizei, die den Koch kassiert, aber wieder laufen lassen muss, weil sich nicht beweisen lässt, dass er der Mann aus dem Film ist; die clevere Ehefrau Mabel (Marleen Lohse) hat umgehend alle Spuren beseitigt.

Kevin ist Mitglied einer Neonazi-Gruppierung namens "Blut und Eisen". Ein Kamerad (Tristan Seith) macht ihm klar, dass er seinen Worten Taten folgen lassen muss. Ex-Hooligan Kevin hat zwar kein Problem damit, feindliche Ultras krankenhausreif zu prügeln, aber auf einen Menschen will er nicht schießen, zumal er auf Bewährung ist. Also schnappt sich sein Kumpan die Pistole, um die Sache selbst zu erledigen. Zu seiner tödlichen Überraschung ist Pettekaya ebenfalls bewaffnet. Unversehens sitzen der Personalchef und der Neonazi im selben Boot und müssen nun schauen, wie sie die Leiche loswerden.

Die Geschichte funktioniert, weil Kevin durchaus sympathische Züge trägt. Das ist natürlich eine Zumutung, schließlich hat ein netter Nazi ein Widerspruch in sich zu sein. Trotzdem geht die unfreiwillige Solidarität zwischen den beiden Männern schließlich sogar so weit, dass Pettekaya seinem Weggefährten aus der Patsche hilft, als die finsteren Gesinnungsgenossen Kevin einen Denkzettel verpassen wollen.

Um dieses ungewöhnliche Duo herum gruppiert Becker eine Partei, deren wichtigste Schlagworte Nation und Patriotismus sind. In den entsprechenden Szenen trägt der Film fast satirische Züge, wobei der Autor und Regisseur jedoch nicht den Fehler begeht, die Herren an der Parteispitze zu verharmlosen.

Dass sich die Männer mit ihren Frauen im Wald treffen, um während eines feuchtfröhlichen Grillfests auf Pappkameraden zu ballern, erinnert zwar eher an die Schießübungen evangelikaler Trump-Anhänger, aber ansonsten hat Becker die Wahlkampfrealität gut getroffen: In der Öffentlichkeit sind Spitzenkandidat Herzog (Bernhard Schier) und der Fraktionsvorsitzende Steiner (Frederic Linkemann) tunlichst darauf bedacht, sich von rechtsextremistischen Positionen zu distanzieren, aber wenn sie unter sich sind, offenbart sich hinter der bürgerlichen Fassade die Fratze des Faschismus.

Trotzdem ist Beckers 17. "Nachtschicht"-Film kein politisches Lehrstück, sondern in erster Linie ein fesselnder Krimi. Die Botschaft ergibt sich eher beiläufig und in zum Teil sogar fast heiteren Momenten, wenn Herzog zum Beispiel von KDD-Chef Ömer Kaplan (Özgür Karadeniz) wissen will, wo er herkomme, und mit dessen Antwort – Bremerhaven – nicht zufrieden ist, weil ein Mensch mit türkischen Wurzeln seiner Ansicht nach kein Deutscher sein kann. Die Zusammensetzung des Teams lässt sich ohnehin nicht dem Weltbild des Politikers vereinbaren.

Barbara Auer hat die Reihe verlassen; ihre Nachfolgerin ist Idil Üner. Auch Tedros Teclebrhan und Minh-Khai Phan-Thi wirken nicht mehr mit; zweite neue Figur ist eine junge Kollegin mit afrikanischen Wurzeln (Sabrina Ceesay), die sich als wandelndes Strafgesetzbuch entpuppt und Kaplan gern mal Nachhilfe in Semantik gibt. Allein Armin Rohde ist noch als Mann der ersten Stunde übrig.

Typisch für Beckers Sonderstellung ist auch der Corona-Charakter des Krimis: Während die Pandemie in Filmen und Serien tunlichst ausgeblendet wird, tragen die Menschen in "Blut und Eisen" Mund-Nasen-Schutz, begrüßen sich mit dem Ellenbogen und halten Abstand.

Auch der zentrale Schauplatz ist anders als sonst: Weil das Präsidium renoviert wird, ist der Kriminaldauerdienst in Container umgezogen, deren Innenleben in einem ungewöhnlichen pastellfarbenen hellblauen Licht erstrahlt. Auch dort aber werden Zeugen und Verdächtige leutselig von Polizeiobermeister Walter begrüßt; Albrecht Ganskopf holt nun schon seit einigen Episoden viel mehr aus seiner Rolle raus, als eigentlich drinsteckt.

Der Rest des prägnant besetzten Ensembles ist nicht minder sehenswert, wobei Kais Setti dank der sarkastischen Dialoge des Personalchefs sogar Armin Rohde die Schau stiehlt. Da Becker zudem gern gegen den Strich besetzt, darf Tristan Seith, in der ZDF-Reihe "Helen Dorn" als liebenswert-lustiger Kriminaltechniker zu sehen, hier einen hässlichen Deutschen verkörpern, der auch noch Dexter (lateinisch für rechts) heißt. Seltsam nur, dass mehrfach von Landtagswahlen die Rede ist; im Stadtstaat Hamburg heißt das Landesparlament Bürgerschaft.