Brüssel, Arnsberg (epd). Fünf Jahre nach Abschluss des EU-Türkei-Abkommens fordert die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel dessen Neuverhandlung oder Abschaffung. "Der Deal hat nicht funktioniert", sagte die Innenexpertin dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Brüssel. Griechenland werde von den anderen EU-Staaten alleingelassen oder fühle sich zumindest so, erklärte Sippel. "Das führt dazu, dass man eher auf Abschreckung und gewaltsame Zurückdrängung von geflüchteten Menschen setzt als auf geordnete und beschleunigte Verfahren."
Zugleich nehme die EU aus der Türkei nur Flüchtlinge aus Syrien auf, und selbst bei ihnen seien die Zahlen gering, bemängelte Sippel. "Das relativ reiche Europa sagt: 'Wir haben mit den anderen nichts zu tun, die Türkei kann sich darum kümmern‘."
Das Abkommen vom 18. März 2016, das offiziell nur eine "Erklärung EU-Türkei" ist, sollte die Zahl von Menschen senken, die irregulär von der Türkei auf die griechischen Inseln kamen und von dort oft weiter auch bis nach Deutschland zogen. Es wurde vereinbart, alle in die Türkei zurückzuführen. Zugleich wurde jedem ein individuelles Verfahren zugesichert, um Schutzansprüche in der EU zu prüfen. Im Gegenzug zahlte die EU mehrere Milliarden Euro zur Unterstützung der Flüchtlinge in der Türkei. Außerdem sollte für jeden Syrer, den die Türkei zurücknimmt, ein anderer Syrer legal in die EU kommen dürfen.
Die Rückführungen in die Türkei seien insgesamt schleppend verlaufen, sagte Sippel. Die griechischen Behörden seien oft nicht sehr zügig darin gewesen, die Identität oder Herkunft der Ankömmlinge festzustellen. Dazu erschwere das schlechte Verhältnis zwischen der Türkei und Griechenland die Zusammenarbeit.
Den Griechen seien ihrerseits von den anderen EU-Staaten zu wenige Menschen abgenommen worden, kritisierte die Sozialdemokratin aus Nordrhein-Westfalen. All das "rechtfertigt aber in keinster Weise Menschen zu schlagen, abzuschrecken oder unmenschlich hausen zu lassen", sagte sie mit Blick auf Vorwürfe von illegalen Zurückdrängungen von Schutzsuchenden an der griechisch-türkischen Grenze (Push backs) und auf die Unterbringung in den griechischen Flüchtlingslagern. Bei der schlechten Unterbringung habe sie "tatsächlich zunehmend den Eindruck, dass die Situation gewollt ist", sagte Sippel, die sich 2016 selbst ein Bild von der Lage auf Lesbos gemacht hatte.
Ein neues Abkommen mit der Türkei müsste gute Standards für Flüchtlinge in dem Land enthalten, und zwar nicht nur in den Flüchtlingslagern und nicht nur für Syrer, erklärte Sippel. Zudem müsse die Integration in die dortige Gesellschaft verbessert werden, "um Perspektiven zu schaffen und Sekundärmigration, etwa in die EU, zu reduzieren". Zudem müsste es ein echtes europäisches Abkommen sein, sodass das EU-Parlament es auch kontrollieren könne.