Vor gut zwei Wochen hat die ARD-Dokumentation "Fukushima und der deutsche Atomausstieg" geschildert, wie Angela Merkel nach der Katastrophe in Japan im März 2011 über Nacht das Kapitel Kernenergie beendete. Mit "Strahlendes Comeback" zeigt ZDFinfo nun quasi die Fortsetzung: Ebling und Zimmermann gehen in ihrem Film der Frage nach, ob ausgerechnet die vielgeschmähte Atomkraft den Klimawandel verlangsamen könnte. Tatsache ist zumindest, dass sich der CO2-Ausstoß Deutschlands in den letzten zehn Jahren drastisch vergrößert hat: Weil es die verschiedenen Bundesregierungen unter Merkels Führung versäumt haben, die Energiewende mit der nötigen Konsequenz voranzutreiben, stammt bislang nur rund die Hälfte des hiesigen Stroms aus erneuerbaren Energiequellen.
Dass Deutschland die größte Dreckschleuder Europas ist, hat nicht nur mit dem Bevölkerungsreichtum und der florierenden Industrie zu tun. Der Ausstieg aus der Kohle soll bis 2038 vollzogen sein. Bis dahin dienen Kohlekraftwerke gemeinsam mit Gaskraftwerken als Puffer, um zu verhindern, dass das Licht ausgeht, wenn es mal weder Wind noch Sonnenschein gibt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Kernkraft macht heute nur noch einen kleinen Teil der Energieversorgung aus; im nächsten Jahr soll der letzte Meiler vom Netz gehen. Trotzdem schlägt nun die Stunde der Ausstiegsgegner, unter denen sich durchaus auch Umweltschützer befinden: Einzig mit Atomkraft ließen sich die ehrgeizigen Klimaziele noch erreichen.
Die Argumente klingen in der Tat verführerisch: Im Vergleich gerade zur Kohle ist Kernenergie sauber. Die Kraftwerke der nächsten Generation sind zudem in der Lage, alte und verbrauchte Brennelemente zu verarbeiten; auf diese Weise könnte sogar der Atommüll aus den älteren Meilern entsorgt werden. Mini-Reaktoren ließen sich zudem leichter kühlen und dort errichten, wo der Strom tatsächlich gebraucht wird. Der erhebliche Nachteil der Windenergie liegt darin, dass der Wind vor allem im Norden weht; dort wird allerdings weitaus weniger Energie benötigt als im Westen und im Süden.
Bevor sich Ebling und Zimmermann mit der Frage befassen, ob Atomstrom im Vergleich zur Kohle nicht das kleinere Übel sei, erzählen sie die Geschichte der Kernenergie. Der Protest gegen Atomkraftwerke trieb die Menschen in den späten 70er- und frühen 80er Jahren zu Hunderttausenden auf die Straße. Selbst wer damals nicht dabei war, hat heute noch die Bilder der Polizeigewalt vor Augen. Sie hatten erheblichen Anteil daran, dass die außerparlamentarische ökologische Opposition in Gestalt der Grünen 1983 in den Bundestag einzog, aber selbst das Unglück in Tschernobyl 1986 konnte den Siegeszug der Kernenergie nicht stoppen.
Erst die Katastrophe von Fukushima sorgte auch in der Bundesregierung für jenen Sinneswandel, der sich in der Bevölkerung längst vollzogen hatte. Allerdings steht Deutschland mit seiner Entscheidung, sämtliche Kernkraftwerke abzuschalten, im Reigen der westlichen Industrieländer noch weitgehend alleine da; andere Nationen warten erst mal ab, ob die Energiewende funktioniert.
In Finnland zum Beispiel spielt Atomenergie beim Kampf gegen den Klimawandel eine wesentliche Rolle; selbst die dortigen Grünen unterstützen das Konzept. Französische Energiekonzerne gehen ohnehin davon aus, dass sie in die Bresche springen müssen, wenn den Deutschen der Strom ausgeht.
Der Film scheint also auf ein eindeutiges Fazit hinauszulaufen, die Untertitelfrage "Rettet Atomkraft das Klima?" wäre demnach rein rhetorischer Natur; Atomstrom sei sicher und bezahlbar, versichern die Befürworter. Aber nun zeigt sich die clevere Konzeption der Dokumentation: Was streckenweise wie ein Plädoyer für ein Comeback der Kernkraft wirkt, entpuppt sich als geschickte Strategie, die in ein ebenso klares wie wohlbegründetes "Atomkraft? Nein danke" mündet.
Davon abgesehen ist "Strahlendes Comeback" auch optisch sehr abwechslungsreich gestaltet. Wo andere Sendungen dieser Art überwiegend aus redenden Köpfen bestehen, werden die Schilderungen der sorgfältig ausgewählten Sachverständigen durch umfangreiches Archivmaterial und anschauliche Grafiken ergänzt.
Nicht immer geglückt sind dagegen die filmischen Einführungen der Gesprächspartner. Claudia Kemfert zum Beispiel, Leiterin der Abteilung Energie beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, ist zwischen die Regale der Institutsbibliothek gestellt worden, wo sie scheinbar in die Lektüre ihres eigenes Buches vertieft ist; das wirkt exakt genauso inszeniert wie es klingt.