TV-Tipp: "Die Toten von Marnow"

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TV-Tipp: "Die Toten von Marnow"
13.3., ARD, 20.15
Vor einiger Zeit hat Holger Karsten Schmidt angekündigt, in Zukunft weniger Drehbücher und dafür mehr Romane zu schreiben. Zum Glück hat der dreifache Grimme-Preisträger - "Mörder auf Amrum" (2010), "Mord in Eberswalde" (2014) und "Das weiße Kaninchen" (2017) - seine Drohung nur bedingt wahrgemacht: "Die Toten von Marnow" ist innerhalb weniger Wochen bereits sein drittes Werk.

Zuletzt hat der Krimi- und Thriller-Autor mit "Martha & Tommy" ein für seine Verhältnisse eher ungewöhnliches Drama erzählt, aber auch der ARD-Vierteiler "Die Toten von Marnow" nimmt in seinem umfangreichen Gesamtwerk eine Sonderstellung ein. Dank der Sendezeit von knapp 360 Minuten kann sich Schmidt viel Zeit für die Figuren nehmen, und die nutzt er weidlich aus: Selten ist eine Ermittlerrolle mit derart viel Privatleben ausgestattet worden, ohne dass die Krimi-Ebene darunter gelitten hätte. Das funktioniert, weil die Drehbücher den Alltag von Hauptkommissar Frank Elling (Sascha Alexander Geršak) äußerst geschickt mit der Suche nach einem Serienmörder verknüpfen. Selbst eine vermeintliche Nebenebene mit Ellings zunehmend dementer Mutter (Christine Schorn) wird Teil des Falls.

Der Film beginnt mit einer doppelten Ermordung: Der erste Täter hat dem Opfer die Kehle durchgeschnitten, der zweite versucht, die Tat als Racheakt an einem Kinderschänder zu kaschieren. Erst später zeigt sich, dass dieser Mann ein Kollege des Schweriner Kripo-Duos Elling und Partnerin Mendt (Petra Schmidt-Schaller) ist: Kriminalhauptkommissar Bernd Peters (Jörg Schüttauf) gehört zum LKA, erhält seine Befehle aber von ganz anderer Stelle.

Kurz drauf bietet eine geheimnisvolle Fremde (Minh-Khai Phan-Thi) Elling 200.000 Euro an, wenn er den Mord als Selbstjustiz eines missbrauchten Betroffenen akzeptiert. Der Kommissar braucht Geld und löst damit eine fatale Kettenreaktion aus, die auch seine Partnerin in den Abgrund zu reißen droht. Fortan muss das Duo nicht nur eine Mordserie klären, weil noch weitere Menschen auf die selbe Weise zu Tode kommen, sondern auch ständig befürchten, dass die eigenen Gesetzesverstöße auffliegen.

 

Dass dieser Krimi über einen mörderischen Sommer in Mecklenburg keinerlei Längen hat, ist auch das Verdienst von Andreas Herzog. Der Regisseur hat mit Schmidt unter anderem bei den beiden vorzüglichen "Metzger"-Krimis (ARD) zusammengearbeitet und mit Senta Berger mehrere Episoden für die ZDF-Reihe "Unter Verdacht" gedreht, darunter auch den packenden Zweiteiler "Verlorene Sicherheit" (über ein Attentat aufs Münchener Oktoberfest).

"Die Toten von Marnow“ zeichnet sich nicht zuletzt durch eine herausragende Bildgestaltung (Philipp Sichler) aus. Die vor Hitze geradezu flimmernden Aufnahmen und die schönen Landschaftsaufnahmen bilden einen reizvollen Kontrast zur düsteren Handlung: Auf den ersten Mord folgt ein zweiter mit ähnlicher Handschrift.

Eine Spur führt zu einem Campingplatz inmitten der malerischen Mecklenburger Seenplatte. Auf einem Friedhof in der Nähe findet der junge Kollege von Elling und Mendt, Sören Jasper (Anton Rubtsov empfiehlt sich dringend für weitere Aufgaben), ungewöhnlich viele Kindergräber. Die entsprechende Szene könnte auch aus einem Mystery-Thriller stammen; für den Polizisten hat die Entdeckung ohnehin böse Folgen. Opfer Nummer zwei hatte maßgeblichen Anteil am Aufschwung eines Pharmaunternehmens in den Achtzigerjahren, und langsam werden Erinnerungen an die menschenverachtenden Methoden wach, die Johannes W. Betz (Buch) und Urs Egger (Regie) in ihrem Film "Kranke Geschäfte" (2020, ZDF) beschrieben haben.

Ähnlich preiswürdig wie die Bildgestaltung ist die abwechslungsreiche Musik (Martin Tingvall), die passend zur inhaltlichen Mischung aus An-, Ent- und Hochspannung mal rockig und mal sanft klingt. Trotzdem ist es letztlich die auch emotional ungemein komplexe Geschichte, die den Vierteiler über eine Länge von sechs Stunden trägt.

Natürlich hat es seinen Grund, dass sich Schmidt und Herzog viel Zeit für Ellings Familienleben mit attraktiver Frau (Anne Schäfer) und kluger Tochter (Bianca Nawrath) nehmen: Der Mann hat jede Menge zu verlieren. Gattin Susanne scheint innerlich bereits weg zu sein: Sie hat ein Verhältnis mit einem Kandidaten für den Posten des Oberbürgermeisters. Schon die prominente Besetzung dieser vergleichsweise kleinen Rolle mit Tobias Oertel verdeutlicht die Bedeutung des Projekts.

Umso respektabler ist die Wahl von Geršak als melancholischer Antiheld; nicht, weil ihm nicht zuzutrauen wäre, dieser Figur das angemessene Format zu geben, sondern weil er bislang vorwiegend in Schurkenrollen zu sehen war, allen voran als Geiselnehmer Rösner in dem ARD-Zweiteiler "Gladbeck" (ebenfalls nach Vorlage von Schmidt).

Ellings Kollegin hat allerdings eine ungleich größere Last zu tragen, die der Film erst ganz am Schluss offenbart. Dafür ist sie deutlich zupackender, und das nicht allein, weil sie kurzerhand den schmucken Sören vernascht, was sich durchaus als ironischer MeToo-Kommentar verstehen lässt. Dass sie sich auch mit Peters anlegt, muss sie bitter bereuen; aber der LKA-Kommissar schließlich noch mehr.

Der Thriller ist ohnehin im Unterschied zu den meisten Reihenkrimis mit vielen packenden Szenen gewürzt, die zum Teil in gemeine Cliffhanger münden. Zum Schluss von Teil eins nimmt Schmidt diese Methode, die Neugier auf die Fortsetzung zu schüren, sogar wörtlich; Teil zwei endet dafür mit einem Knalleffekt. Dass sich viele Szenen anders entwickeln als erwartet, macht einen weiteren Reiz des Vierteilers aus. Die ARD startet die Reihe heute mit zwei Episoden, die Teile drei und vier folgen Mittwoch und Donnerstag.