Karlsruhe (epd). Vor der Abschiebung eines Flüchtlings in dessen Heimatland müssen Gerichte die dortigen aktuellen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Bedingungen berücksichtigen. Dazu könne auch die Prüfung gehören, ob der Flüchtling trotz der Folgen der Corona-Pandemie durch eigene Arbeit ein Existenzminimum überhaupt erwirtschaften kann, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem Freitag veröffentlichten Beschluss. (AZ: 2 BvQ 8/21) Die Karlsruher Richter gaben damit dem Antrag eines afghanischen Flüchtlings auf einstweilige Anordnung gegen dessen bevorstehende Abschiebung statt.
Der Asylantrag des drogensüchtigen und unter Betreuung stehenden Flüchtlings war abgelehnt, die Abschiebung angeordnet worden. Das Verwaltungsgericht Schleswig billigte die Abschiebungsanordnung, ohne jedoch die derzeitigen genauen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen in den Blick genommen zu haben.
Behörden und Gerichte müssten aber prüfen, ob ein Flüchtling nach der Abschiebung in sein Heimatland dort überhaupt überleben kann, forderte das Bundesverfassungsgericht. Dazu gehöre, sich "laufend über die tatsächlichen Entwicklungen" zu unterrichten. Das Gericht brauche zwar nicht jede Erkenntnisquelle heranziehen, müsse aber auf die vom Flüchtling vorgetragenen relevanten Gesichtspunkte auch eingehen.
Im konkreten Falle sei nicht untersucht worden, ob der drogensüchtige Mann unter den derzeitigen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Bedingungen in Afghanistan und angesichts der Corona-Pandemie überhaupt sein Existenzminimum erarbeiten kann. Ob der Flüchtling bei seiner Rückkehr auf ein familiäres Netzwerk zugreifen könne, sei ebenso nicht geprüft worden. Bis zur Entscheidung einer noch einzulegenden Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, dürfe der Mann wegen der Versäumnisses des Verwaltungsgerichts daher nicht abgeschoben werden.