Der Arbeitstitel des zwölften „Friesland“-Krimis lautete „Der große Waal“, aber das Drehbuch hätte auch „Der tote Waal“ heißen können, denn der großspurige Investmentmanager, der aus Leer ein digitales Dorado machen wollte und den Stadtrat mit seinen Visionen vom „Friesland Valley“ um den Verstand geredet hat, wird seine ohnehin bloß aus den Fingern gesogenen Pläne nicht mehr realisieren können. Das Verschwinden des Mannes ist der Auftakt zu einer Krimikomödie, die neunzig ausgesprochen unterhaltsame Minuten bietet und im Rahmen der Reihe zu den besten gehört. Schon Georg Ludys letzte Arbeit fürs ZDF, die „Wilsberg“-Episode „Mörderische Rendite“ (2018), stand unter der Devise „Gier frisst Hirn“. Doch während die Kalauer und Wortspiele damals mitunter allzu bemüht klangen, machen die Wortwechsel diesmal großen Spaß. Das Humorniveau der Geschichte kann sich durchaus mit der gleichfalls nach Ludys Vorlage entstandenen herrlich schrägen Heimatgroteske „Storno - Todsicher versichert“ (2015) messen, zumal viele amüsante Nebenhandlungen für weitere Heiterkeit sorgen. So prangert zum Beispiel ein kleiner Seitenstrang mit Dagmar Sachse nicht nur die empörenden Arbeitsbedingungen der sogenannten Zimmermädchen an, sondern entpuppt sich schließlich als geschickte Vorbereitung der Schlusspointe.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Qualität des Drehbuchs spiegelt sich auch in den Leistungen des ausnahmslos sehenswerten Ensembles wider, das offensichtlich viel Freude an den geschliffenen Dialogen hatte, zumal Ludy dafür gesorgt hat, dass alle genug zu tun haben: Eigentlich sollte das uniformierte Duo Özlügül und Cassens (Sophie Dal, Maxim Mehmet) den Investor nicht aus den Augen lassen, deshalb versteht es sich von selbst, dass sie den Täter finden wollen, selbst wenn Hauptkommissar Brockhorst die Mördersuche zur Chefsache gemacht hat. Felix Vörtler verkörpert den Dienststellenleiter einmal mehr mit Hingabe als Musterexemplar des cholerischen Vorgesetzten, der seinen Mitarbeitern die eigenen Fehler in die Schuhe schiebt, um dann gönnerhaft Milde walten zu lassen. Das Luftschloss des zunächst spurlos verschwundenen Betrügers, der den Anlegern eine Rendite von knapp 20 Prozent in Aussicht gestellt hat, war der Stadt Leer 1,5 Millionen Euro Wirtschaftsförderung wert. Als der Mann wieder auftaucht, liegt er als Leiche in einem der Särge von Bestatter Habedank (Holger Stockhaus). Das Luxusmodell war für die vermögende Unternehmerin Tillich (Tatja Seibt) gedacht. Die geldadelige Dame, der Dünkel und Bosheit aus allen Knopflöchern strömen, ist allerdings noch sehr lebendig und äußerst schockiert, wenn auch weniger wegen der Zweckentfremdung ihrer letzten vier Wände: Habedank hatte in ihrem Namen 300.000 Euro in Waals Projekt investiert, und die sind nun weg.
Neben der Kernidee vom „Friesland Valley“ beeindruckt Ludys Drehbuch vor allem durch das verzweigte Personengeflecht. Eine gute Nachricht ist auch, dass Tina Pfurr jetzt zum festen „Friesland“-Team gehört: Weil Apothekerin und Freizeit-Forensikerin Scherzinger (Theresa Underberg) auf einer Fortbildung weilt, schmeißt nun Melanie Harms den Laden. Die Mitarbeiterin liefert sich nicht nur einen erbitterten Kampf mit der esoterischen Heilpraktikerin (Christin Nichols) von gegenüber, sie vertritt ihre Chefin auch in kriminalistischer Hinsicht. Besagte Esoterikerin kämpft als Strahlenwarnerin gegen jede Form von Digitalisierung, ist jedoch bizarrerweise mit einem IT-Spezialisten (Florian Stetter) verheiratet; außerdem hat sie ein Verhältnis mit dem Bestatter. Eine Abteilungsleiterin (Dennenesch Zoudé) vom Ostfriesland Cable Service hat ebenfalls ihre Finger im Spiel. Alle gelten aus dem einen oder anderen Grund als verdächtig, alle haben ein Alibi, aber die meisten Alibis platzen nach und nach. Dass sich ein weiterer Akteur (Jochen Matschke) als Özlügüls großer Teenager-Liebe entpuppt, macht die Sache auch nicht leichter, zumal der eifersüchtige Cassens den Mann prompt zum Hauptverdächtigen erklärt. Wie im herkömmlichen Krimi wandert das Polizistenpaar von einem zum anderen, aber die Kurzweiligkeit, mit der Thomas Durchschlag dieses eigentlich konventionelle Erzählmuster umgesetzt hat, ist äußerst vergnüglich. Der Regisseur hat zuletzt eine sehenswerte Folge für die ZDF-Krimireihe „Stralsund gedreht („Doppelkopf“). Frühere Filme waren „Ich gehöre ihm“ (2017), ein Drama über ein naives Vorortmädchen, das auf einen „Loverboy“ reinfällt und auf dem Strich landet, sowie „Holger sacht nix“ (2011), ein Heimatfilm der etwas anderen Art. „Haifischbecken“ setzt dieses Qualitätsniveau nahtlos fort.