TV-Tipp: "Unbroken"

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TV-Tipp: "Unbroken"
23. Februar, ZDF Neo, 21.45 Uhr
"Der Verlust eines Kindes ist das Schlimmste, was Eltern passieren kann" - dieser Satz beschreibt nicht mal annähernd, welchen Albtraum die Hauptfigur der Neo-Serie "unbroken" durchlebt.

Der zunächst aus subjektiver Sicht gefilmte Prolog weckt auf perfide Weise die Neugier: Eine Person schleppt sich durch den Wald, die Kamera fängt eine blutige Hand ein, von der Tonspur erklingt ein Keuchen. Der mühsame Weg endet vor einem Haus, ein Kind sagt: "Da ist ein Monster!" Dann erst ist die Frau zu sehen, der die Kamera über weite Strecken der nun folgenden viereinhalb Stunden nicht mehr von der Seite weichen wird: Sechs Tage war die hochschwangere Duisburger Kriminalpolizistin Alex Enders (Aylin Tezel) spurlos verschwunden. Nun taucht sie halbnackt und blutüberströmt wieder auf, ohne Erinnerung; und ohne Baby. Sie weiß nur noch, dass sie entführt worden ist. Als sie drei Monate später ins Revier zurückkehrt, hat sie nur ein Ziel: Sie will ihr Kind finden.

Die einzelnen "Unbroken"-Episoden folgen einer Binnendramaturgie, aber Marc O. Seng und Andreas Linke (Idee und Buch) erzählen ihre Geschichte als Spielfilm in sechs Kapiteln; Regisseur Andreas Senn hat mit seiner enorm dichten Umsetzung dafür gesorgt, dass sie keine Minute zu lang ist. Das liegt auch und vor allem an Aylin Tezel. Sie hat schon einige extreme Rollen gespielt, aber "Unbroken" dürfte die vorläufige Krönung ihrer Kariere sein, zumal sie in vielen Szenen physisch und psychisch an ihre Grenzen geht. Weil sie auch mit Mitte 30 immer noch ausgesprochen jugendlich wirkt, kann sie Alex mal sehr fragil und mal sehr entschlossen verkörpern.

 

Alex ist ohnehin eine Figur wie aus einem Hollywood-Krimi: Die zu Alleingängen neigende Polizistin wartet selbstverständlich nicht aufs SEK, wenn Fluchtgefahr besteht, und braucht dank ihres Nahkampftrainings keine Waffe, um mit Verbrechern fertig zu werden (in dieser Hinsicht ähnelt sie Sarah Kohr aus der gleichnamigen ZDF-Reihe). Auch die kollegiale Verbundenheit innerhalb des Reviers erinnert an US-Vorbilder. 

Der spezielle Reiz der Serie liegt jedoch in der Kombination von Schicksalsschlag und Krimi. Das ist nur auf den ersten Blick nichts Besonderes, schließlich geht es in Stoffen dieser Art immer darum, Verbrechen aufzuklären; aber in der Regel leitet das Opfer nicht auch die Ermittlungen.

Die zweite Besonderheit steht gleichzeitig für eine große Qualität des Drehbuchs, weil Seng ("Lerchenberg") und der in diesem Genre nicht zuletzt wegen seiner guten Charlotte-Link-Adaptionen deutlich erfahrenere Linke im Verlauf der Geschichte einen vermeintlichen Widerspruch zuspitzen: Je näher Alex der Lösung des Rätsels kommt, desto mehr ist ihre Umgebung davon überzeugt, dass sie den Verstand verliert. Schließlich fragt sie sich sogar selbst, ob das vermeintlich schlüssige Bild bloß in ihrem Kopf existiert. Bis dahin hat sie der Reihe nach alle Menschen aus ihrer näheren Umgebung verdächtigt, sie entführt und das Baby geraubt zu haben: ihren väterlichen Chef Nowak (Özgür Karadeniz), der anscheinend auf der Lohnliste eines rumänischen Verbrechers (Aleksandar Tesla) steht; ihren Ex-Freund (David Owe), der sie um jeden Preis zurückhaben will; am Ende sogar ihren Mann (Sebastian Zimmler), der ihr zunehmend fremder wird.

Außerdem findet Alex weitere Puzzleteile, die aus ihrer Sicht perfekt ins Bild passen. Als beispielsweise eine junge Rumänin ermordet wird, die kurz zuvor ein Kind zur Welt gebracht wird, hält sie die Parallelen zu ihrem eigenen Fall für offenkundig; die Kollegen halten sie dagegen für paranoid. Schließlich weiß Alex nicht mehr, ob sie überhaupt noch irgendwem trauen kann, am allerwenigsten sich selbst, zumal sie unter erheblichen Schuldgefühlen leidet, weil sie die Schwangerschaft am liebsten ungeschehen gemacht hätte. Die einzige Person, die offenbar vorbehaltlos zu ihr steht, ist die Polizeipsychologin (Leslie Malton). Eine Schlüsselrolle spielt auch ihr dementer Vater (André Jung), ein ehemaliger Kollege und guter Freund ihres Chefs, der in seinen wenigen lichten Momenten düstere Andeutungen macht. Wie Seng und Linke am Ende (fast) alle Kreise plausibel schließen, ist große Drehbuchkunst.

Die letzten Krimis von Andreas Senn waren ausnahmslos sehenswert, aber in seiner Filmografie dürfte "Unbroken" ebenfalls eine Sonderstellung einnehmen. Das liegt auch an Leah Striker, die schon in den Senn-Filmen "Träume" (ein "Usedom-Krimi", 2015) und zuletzt in "Der Kommissar und die Wut" (2020) für die vorzügliche Bildgestaltung verantwortlich war und den Aufnahmen hier konsequent jegliches Wohlbehagen ausgetrieben hat. Auch die Drohnenperspektiven sind sinnvoll eingesetzt.

Florian Tessloffs Musik unterfüttert die Bilder mit einer permanenten "Gefahr im Verzug"-Stimmung und sorgt für einige Schockeffekte, wenn Alex im Spiegel ihren maskierten Entführer sieht. Für Tezel wiederum war die Rolle ein Déjà-vu: Schwangere junge Frauen hat sie schon öfter verkörpert, aber ein gutes Ende hat dabei nur die nachdenkliche Degeto-Komödie "Kleine Schiffe" (2013) genommen. Zuvor hat sie in dem Kinodrama "Am Himmel der Tag" (2012) eine Studentin verkörpert, deren Kind im sechsten Monat stirbt, und auch die Dortmunder "Tatort"-Kommissarin Nora Dalay hat ihr Baby verloren; "Unbroken" ist nun gewissermaßen der düstere Höhepunkt dieses Zyklus’. ZDF Neo zeigt heute und morgen jeweils drei Folgen.