TV-Tipp: "Spreewaldkrimi: Totentanz"

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TV-Tipp: "Spreewaldkrimi: Totentanz"
8. Februar, ZDF, 20.15 Uhr
In Thomas Kirchners letztem Spreewaldkrimi ersetzt der Autor das gewohnte Zeitmosaik durch ein Webwerk anderer Art: Diesmal ist die Geschichte von Videoschnipseln durchsetzt. Gewissermaßen sind diese Einschübe ebenfalls Zeitsprünge, denn der junge Mann, der so durch die Handlung führt, lebt nicht mehr.

Keine Krimireihe im deutschen Fernsehen erzählt regelmäßig derart kunstvoll verschachtelte Geschichten wie der "Spreewaldkrimi". Die Zeitsprünge sind meist gleichermaßen verwirrend wie faszinierend, weil sich nicht immer auseinanderhalten lässt, auf welcher Ebene die Figuren gerade agieren. Manchmal sind die Stränge auch so geschickt miteinander verknüpft, dass sie sich kaum voneinander trennen lassen. Keine andere Reihe ist zudem derart von einem Autor geprägt. Nach 13 Episoden verabschiedet sich Thomas Kirchner nun von seiner Schöpfung.

Zur Handlung: Lukas Fiebow (Matti Schmidt-Schaller) wird eines Morgens unbekleidet erfroren aufgefunden. Er lebte seit einiger Zeit in Frankfurt am Main, stammte aber aus dem Spreewald. Einmal im Jahr ist er zu seinen Wurzeln zurückgekehrt, um mit seiner alten Clique die wendische Fastnacht zu feiern. Vor seinem Tod hatte er Sex, aber offenbar ist er auch vergewaltigt worden.

Natürlich gilt das Augenmerk von Kriminalrat Krüger (Christian Redl) den Jugendlichen: Wer hat Lukas zuletzt gesehen, wer war wo zur Tatzeit etcetera; in dieser Hinsicht ist "Totentanz" ein ganz gewöhnlicher Krimi. Zu einem besonderen Film wird er durch die optisch sehr geschickt integrierten Videos. Lukas war Blogger und hat sich in seinen Beiträgen mit Gott und der Welt befasst: mal als Untergangsprophet, mal als Verschwörungserzähler, mal als Gesellschaftskritiker. Diese Einschübe sind nicht nur mit großer Sorgfalt erstellt worden, sie stehen auch für einen weiteren Reiz der Geschichte, in der uralte Bräuche auf digitale Medien treffen. Durch die scheinbare Projektion der Videos etwa auf eine Wand verschmelzen die beiden Welten miteinander. Natürlich hat Lukas auch Filme über die Fastnacht auf seine Website gestellt, und so ergibt sich nach und nach ein Puzzle, mit dessen Hilfe Krüger schließlich der Wahrheit auf die Spur kommt.

Redaktion und Produktion haben stets darauf geachtet, dass sich die "Spreewaldkrimis" auch durch eine herausragende Bildgestaltung auszeichnen. In Kai Wessels viertem Film für die Reihe ist erstmals Moritz Schultheiß sein künstlerischer Kompagnon. Schon die mystischen, von Nebel und Raureif geprägten Winterbilder des Anfang 2020 entstandenen Films sind ein Genuss. Dazu erklingt ein von Lukas vorgetragenes morbides Fastnachtsgedicht des sorbisch-deutschen Lyrikers Kito Lorenc, das die Brücke zu den nun folgenden Aufnahmen einer fröhlichen Feier der Jugendlichen schlägt. Die Atmosphäre, die das Gedicht und Wessels Inszenierung gemeinsam erzeugen, ist dennoch bedrohlich; der Karneval wirkt wie ein Tanz auf einem Vulkan. Sinnbildlich dafür ist eine Einstellung, die ein Frauengesicht zeigt - bis sich der Träger rumdreht und als sich Mann entpuppt, der sich nun eine Totenkopfmaske übers Gesicht zieht; ein erster Hinweis darauf, dass die Dinge in dieser Geschichte nicht so sind, wie sie scheinen. Unmittelbar darauf zeigt Wessel Krähen, die auf Lukas’ Leiche herumhacken, was wahrlich kein schöner Anblick ist. Großen Anteil an der speziellen Stimmung des Films hat zudem die vom Filmorchester Babelsberg eingespielte Musik von Ralf Wienrich, der seit über zwanzig Jahren mit Wessel zusammenarbeitet und auch die Kompositionen zu dessen letzten beiden Filme für die Reihe ("Zwischen Tod und Leben", "Mörderische Hitze")  geschrieben hat.

Melancholie gehört gewissermaßen zur Grundausstattung der "Spreewaldkrimis", aber diesmal liegt auch viel Abschied in der Luft. Das hat allerdings mehr mit der Entwicklung der Figuren als mit Kirchners Entschluss zu tun, die Reihe abzugeben, denn das war ihm beim Schreiben des Drehbuchs noch gar nicht klar: Krügers loyaler Mitarbeiter Fichte (Thorsten Merten) will sich versetzen lassen, Rechtsmedizinerin Marlene Seefeldt (Claudia Geisler-Bading) offenbart dem Kriminalrat, dass sie an einer unheilbaren Krankheit leidet, und Krüger fühlt sich nach dem Leid und den Tragödien der letzten Jahre ausgebrannt. Er will die Zeit, die ihnen beiden noch bleibt, damit verbringen, seine frühere Geliebte zu pflegen; aber Marlene hat andere Pläne. Kein Wunder, dass der einsam mit seinem Kahn über die Wasserstraßen des Spreewalds schippernde Polizist an Charon erinnert, den Fährmann aus der griechischen Mythologie, der die Toten in den Hades bringt.

Sehenswert wie stets im "Spreewaldkrimi" sind auch die Leistungen des Ensembles, das hier abgesehen von den routinierten Reihendarstellern größtenteils aus jungen Schauspielern besteht, die ihre Sache ausnahmslos gut machen. Das gilt vor allem für Marlene Tanczik als Wortführerin der Clique sowie Luzia Oppermann als Außenseiterin aus dem Nachbardorf; die junge Österreicherin ist nach ihrer Mitwirkung in "Nord bei Nordwest" ("Im Namen des Vaters") sowie als Titeldarstellerin in der "Polizeiruf"-Episode "Monstermutter" zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen in einer sehr prägnanten Rolle zu sehen.