"Stubbe" war schon immer eine Familienfilmreihe, und das in gleich dreifacher Hinsicht: Der Haushalt des Hamburger Hauptkommissars aus Sachsen war stets ebenso wichtig wie seine Fälle, außerdem spielte die Tochter des Hauptdarstellers auch seine Filmtochter; und die Fälle waren nie brutal oder übermäßig spannend, sodass "Stubbe", Anfang 2014 nach fast zwanzig Jahren und fünfzig Episoden eingestellt, stets auch für die ganze Familie geeignet war.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Film beginnt mit dem Auftritt eines sehr zornigen jungen Mannes, der einem Dresdener Pflegedienst vorwirft, Schuld am Tod seiner Mutter zu sein. Malte Stern (Patrick Güldenberg) ist ein früherer Schulfreund von Christiane. Die freie Journalistin wittert eine Story, deponiert Töchterchen Caroline bei deren Großvater, heuert unter falschem Namen als Praktikantin bei dem Unternehmen an und erlebt nun hautnah, welche empörenden Zustände im Pflegedienst herrschen. Außerdem findet sie Hinweise auf einen offenbar umfangreichen Pflegebetrug. Derweil ist ihr alter Freund Malte, was sie noch gar nicht weiß, unter fragwürdigen Umständen ums Leben gekommen. Das Szenario spricht für Suizid, doch Stubbes Lebensgefährtin, Kriminaltechnikerin Marlene Berger (Heike Trinker), ist skeptisch, und natürlich ist es der alte Hase, der schließlich maßgeblich zur Klärung des Falls beiträgt.
Das Sujet der Krimiebene mag nicht spektakulär sein, ist aber gut erzählt, zumal Kahane die vielen notwendigen Informationen flüssig integriert hat. Außerdem ist die Besetzung geschickt gewählt: Der von Oliver Mommsen verkörperte Geschäftsführer des Unternehmens ist ziemlich sympathisch und wirkt keineswegs wie ein Betrüger, ganz im Gegensatz zu seiner Sekretärin (Tessa Mittelstaedt). Um an Hintergrundinformationen zu kommen, sucht Christiane den Kontakt zu Alex (Sebastian Urzendowsky), der für die Einteilung der Pflegekräfte zuständig ist und sich prompt in die neue Kollegin verliebt. Als deren Schwindel auffliegt, gerät sie selbst in Gefahr.
Während die überschaubare Spannung der Krimiebene vor allem aus der Frage resultiert, wer von den vermeintlich Bösen doch zu den Guten gehört, bildet die familiäre Ebene den perfekten Entspannungskontrast, zumal die Rollen nun vertauscht sind: Die Tochter ermittelt, Stubbe kümmert sich ums Kind. Die Szenen mit der Enkelin, die überhaupt keine Lust auf den "Semper-Opa" hat, wirken verblüffend "echt", zumal Greta Kasalo offenkundig ein Naturtalent ist; wenn sie so weitermacht, wird sie nicht lange "die kleine Schwester" von Mia Kasalo (Hauptdarstellerin der ZDF-Serie "Das Pubertier") bleiben. Als Stubbe einsieht, dass er das Kind mit seinen Geschichten über die Oper langweilt, kommt endlich Bewegung in die Beziehung, und das buchstäblich: Er holt seine alte Schwalbe aus der Garage und knattert mit Caro durch Dresden; Regisseur Andreas Herzog, der unter anderem einige herausragende Episoden zur ZDF-Reihe "Unter Verdacht" beigesteuert hat, nutzt die Gelegenheit, um zu den Klängen eines ostdeutschen Klassikers von Manfred Krug ("Wenn’s draußen grün wird") die eine oder andere Sehenswürdigkeit ins Bild zu bringen.
Da Christiane ihren Vater nicht eingeweiht hat, um sich ungebetene Ratschläge zu ersparen, fragt sich Stubbe die ganze Zeit, was seine ständig abwesende Tochter wohl treibt. Als er sie gemeinsam mit Alex in einer Kletterhalle sieht, ist er zunächst beruhigt; später wird das gemeinsame Hobby zu einem auch optisch reizvollen Finale führen, als die beiden zum Klettern in die Sächsische Schweiz fahren. Trotz des tragischen Ausgangs bleibt der Film selbst jetzt noch jedoch Familienfernsehen. Dafür steht auch Wolfgang Stumph, der hier wie schon beim letzten "Stubbe-Special" erneut als Koproduzent fungiert und die Titelfigur weiterentwickelt hat. Natürlich kann der Alte das Kriminalisieren nicht lassen, auch wenn er mit dem Ruhestand nicht mehr ganz so fremdelt wie in "Tod auf der Insel". Es verschafft ihm zwar mehr spür- als sichtbar eine gewisse Genugtuung, dass er Marlenes Chef Zabel (Stephan Grossmann) auf die entscheidende Spur gebracht hat, aber Stumph überlässt die entsprechende Szene bereitwillig Greta: Caro sitzt in Zabels Dienstwagen und probiert keck Blaulicht und Sirene aus. Falls es noch einer Erklärung bedarf, warum Wolfgang Stumph so beliebt ist, dann liefert sie dieser Moment: Große Schauspieler stellen sich in den Dienst der Sache und treten ohne Murren in den Hintergrund, wenn eine Szene dadurch noch größere Wirkung entfaltet. Auch deshalb mischt sich in die Freude ein wenig Wehmut: Das Wiedersehen mit Stubbe fühlt sich an wie der Besuch eines guten, aber weit entfernt lebenden Freundes, den man nach seiner Abreise erst mal für längere Zeit nicht mehr sehen wird.