Brüssel, Straßburg (epd). EU-Länder müssen vor der Ausweisung unbegleiteter Minderjähriger prüfen, ob im Rückführungsland eine geeignete Aufnahmemöglichkeit besteht. Das Kindeswohl sei zwingend zu berücksichtigen, urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) dazu am Donnerstag in Luxemburg. Er wandte sich damit gegen die Niederlande, wo ein 15-Jähriger erfolglos eine Aufenthaltserlaubnis beantragt hatte. (AZ: C-441/19)
Der junge Mann hatte laut EuGH erklärt, in Guinea geboren zu sein und in Sierra Leone bei seiner Tante gelebt zu haben. Nach deren Tod sei er nach Europa gekommen, wo er unter anderem Opfer von sexueller Ausbeutung geworden sei. Nachdem dennoch eine Rückkehrentscheidung gegen ihn verhängt wurde, zog er vor Gericht und machte den Angaben zufolge geltend, dass er seine Eltern weder kenne noch wisse, wo sie wohnten oder ob es andere Familienangehörige gebe.
Das zuständige niederländische Gericht erklärte demnach, dass die Behörden in solchen Fällen nach dem Alter unterschieden. Bei unbegleiteten Minderjährigen, die bei ihrem Asylantrag unter 15 seien, werde vor einer Entscheidung untersucht, ob im Rückkehrstaat geeignete Aufnahmemöglichkeiten bestünden. Falls nicht, werde ein regulärer Aufenthaltstitel erteilt. Bei Älteren werde die Aufnahmemöglichkeit nicht geprüft. Die Behörden "schienen abzuwarten", so erklärte der EuGH die Darstellung des niederländischen Gerichts, bis die Betreffenden volljährig seien, um sie dann abzuschieben. Ihr Aufenthalt sei so lange illegal, aber geduldet.
Das widerspreche dem Kindeswohl, urteilte der EuGH. Denn der Betroffene werde "in eine Situation großer Unsicherheit hinsichtlich seiner Rechtsstellung und seiner Zukunft versetzt". Diese betreffe insbesondere seine Schulausbildung, seine Verbindung zu einer Pflegefamilie oder die Möglichkeit, in dem EU-Staat zu bleiben.