Der Mensch setzt sich's wohl vor im Herzen; aber vom HERRN kommt, was die Zunge reden wird. Einen jeglichen dünken seine Wege rein; aber der HERR prüft die Geister. Befiehl dem HERRN deine Werke, so wird dein Vorhaben gelingen. Der HERR macht alles zu seinem Zweck, auch den Frevler für den bösen Tag. Ein stolzes Herz ist dem HERRN ein Gräuel und wird gewiss nicht ungestraft bleiben. Durch Güte und Treue wird Missetat gesühnt, und durch die Furcht des HERRN meidet man das Böse.
Sprüche 16,1-6 (Hier vorgelesen von Helge Heynold)
Prosit Neujahr, liebe Briefgemeinde!
Ich hoffe, dass Sie gut in das neue Jahr gekommen sind, sei es still und friedlich, oder sei es mit voller Zimmerlautstärke und der Fledermaus, der Neunten, dem Radetzky-Marsch oder einem Rockkonzert Ihrer Wahl. Hauptsache, Sie kommen an im neuen Jahr! 2021 birgt so viel Hoffnung. Man möchte fast Mitleid mit dem noch frischen neuen Jahr haben, wenn man sich vorstellt, was für Erwartungen an es gestellt werden: Du musst in jedem Fall besser sein als 2020! Du musst das Ende der Pandemie bringen, du musst uns wieder Arbeit und Kultur schaffen! Bring uns bessere Präsidenten, bessere Urlaube, bessere Schulzeiten, besseres Ostern und besseres Weihnachten. Armes 2021!
Dabei sollten wir doch aus dem letzten Jahr dies eine gelernt haben: Es kann alles anders kommen, als wir geplant haben. Wir müssten eher behutsam mit dem neuen Jahr umgehen. Wir sollten ihm erst einmal zusehen, was es bereithält für uns, bevor wir es mit allzu hohen Erwartungen überfordern. Damit meine ich gar nicht nur, dass wir uns auf Enttäuschungen einstellen müssen, die unweigerlich kommen werden. Man kann die Zukunft auch überfordern, indem man zu viel Schlimmes von ihr erwartet. Es ist die Erwartung selbst, die das Problem ausmacht.
Der Bibeltext für diese Woche stammt aus dem Buch der Sprüche. Das ist eine Sammlung weiser Worte. Teilweise sind sie so griffig, dass sie zu Sprichwörtern wurden, die wir heute noch benutzen: „Hochmut kommt vor dem Fall.“ (Spr 16,18) und „Der Mensch denkt, Gott lenkt“ (Spr 16,9) stammen hierher. Das Besondere an dieser langen Sammlung ist, dass erst die Gesamtheit all dieser Worte die eigentliche Weisheit ausmacht. Nicht der einzelne Spruch ist weise, sondern die Zusammenstellung. In unserem kleinen Ausschnitt wird davon etwas sichtbar. Man liest einen Satz und denkt sich: Ja, das stimmt schon, dann kommt der nächste Satz und führt den Gedanken nicht einfach fort. Es kommt etwas Neues hinzu, das dem eben Geschriebenen einen neuen Dreh gibt, ihm manchmal sogar zu widersprechen scheint.
Immer wieder fordern die Sprüche dazu auf, sich an dem zu orientieren, was Gott verlangt. Doch ob das gelingt oder nicht, vermag niemand zu sagen. Der gute Wille ist richtig, aber er allein genügt nicht. Menschliches Tun kann trotzdem böse werden. „Ein Böser ist für böse Tage da. Gott hasst Überheblichkeit, und bestimmt wird so etwas nicht ungestraft blieben.“ Man liest es und stimmt vielleicht innerlich zu. Doch dann lautet der nächste Satz: „Durch Güte und Treue wird Missetat gesühnt.“ Für sich allein genommen könnte dieser Satz als Binsenweisheit gelten, aber an dieser Stelle sagt er: Sei dir nicht so gewiss, dass die Strafe, die jemand erfährt, so aussieht, wie du es erwartest. Man kann durch Güte und Treue sühnen!
Die Weisheitsschriften der Bibel geben einerseits Ratschläge. Sie weisen immer wieder auf den Weg hin, den Gott für die Menschen will. Gleichzeitig machen sie immer wieder deutlich, dass Gott allein den Weg bestimmt und alle Zusammenhänge versteht. Für die Menschen bleibt immer etwas Unberechenbares zurück. Darum wird ein Mensch, der nach biblischem Verständnis besonders weise ist, nicht nur das tun, was Gott von ihm verlangt. Er wird auch damit rechnen, dass die eigenen Pläne durcheinanderkommen. Aber wie bei der erwarteten Strafe, die durch Güte und Treue „gesühnt“ wird, so müssen unsere Erwartungen nicht grundsätzlich eine böse Überrschung erleben. Der weise Mensch rechnet einfach damit, dass Pläne – auch die guten – über den Haufen geworfen werden können.
Wer sich vornimmt, an einem Tag besonders viel zu arbeiten, dann aber einen Anruf einer lang vermissten Person bekommt, könnte sich spontan entschließen, stundenlang mit ihr zu reden. Der gute Plan zu arbeiten leidet, dennoch kann die Person anschließend sagen, dass sie das Richtige getan hat, weil es eine schöne Beziehung gefestigt hat. Der weise Mensch wird gute Pläne machen und immer damit rechnen, dass es anders kommt.
Meine erste Wochenaufgabe für dieses Jahr lautet darum so: Nehmen Sie sich Ihren Kalender für 2021 und einen Würfel. Würfeln Sie einmal und multiplizieren Sie die Augenzahl des Wurfes mit zehn. Dann zählen sie die entsprechende Anzahl an Tagen, beginnend mit dem heutigen Datum, ab und machen sich ein Zeichen in den Kalender, das Sie wiedererkennen werden. Es soll ein Zeichen für das Unberechenbare sein. Würfeln Sie erneut, und zählen Sie von Ihrem ersten Eintrag an weiter. Wiederholen Sie den Vorgang, bis Sie zum Ende des Jahres kommen. Wenn Sie nun im Laufe des Jahres die Zeichen wiederentdecken, lassen Sie sich an die Weisheit erinnern, dass Ihre Pläne sich immer wieder ändern werden. Machen Sie Ihr Herz und Ihren Geist weit für das Unberechenbare, das unser Leben bereithält! Vielleicht ändern Sie sogar einen Plan an diesen Tagen.
Gott segne dieses neue Jahr! Sott segne Sie und Ihre Pläne!
Ihr Frank Muchlinsky