Ein kleines Mädchen möchte, dass sein Vater kommt, aber der hat eine neue Familie; eine alte Frau würde das Fest gern noch mal im Kreise der Lieben verbringen, aber die sind alle gestorben; eine halbwüchsige Tochter hat keine Lust auf spießige Weihnachten, ist aber grenzenlos enttäuscht, als ihr alleinerziehender Vater kurzerhand die Bescherung ausfallen lässt; ein junges Pärchen verbringt Heiligabend das erste Mal zu zweit und verkracht sich prompt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Obendrüber, da schneit es" erzählt nicht eine, sondern ganz viele Geschichten. Nach dem gleichnamigen Buch von Astrid Ruppert, die ihren Roman auch selbst adaptiert hat, reiht Regisseurin Vivian Naefe mit leichter Hand eine Episode an die andere. Es sind alles keine großen Dramen, aber natürlich bemisst sich das Gewicht, das ein jeder zu tragen hat, stets nach einem individuellen Maßstab. Der angehende protestantische Priester Gregor Thaler (Wotan Wilke Möhring) zum Beispiel, der schon lange nach einer eigenen Pfarrei sucht, bekommt endlich die Chance seines jungen Berufslebens: Er darf für einen Pastor einspringen und die Christmette halten, leidet allerdings unter erheblichem Lampenfieber. Und dann rutscht er an Heiligabend derart unglücklich aus, dass er sich anschließend kaum noch bewegen kann. Aber das Pech erweist sich als Glücksfall für eine ganze Hausgemeinschaft: Alle eilen Gregor zu Hilfe und betten ihn bei Miriam (Diana Amft) aufs Sofa. Und weil sie ohnehin gerade zusammen sind, beschließen sie, das Fest gemeinsam zu feiern.
Wunderbar unangestrengt verknüpfen Buch und Regie nun die verschiedenen Erzählstränge, die zuvor parallel zueinander verliefen: Miriam, die Gregor schon beim Kauf des Weihnachtsbaums kennen gelernt hat, bringt es nicht übers Herz, ihrer kleinen Tochter zu gestehen, dass ihr Vater nicht kommen wird. Nachbarin Waltraud (Gisela Schneeberger) streikt, denn ihr Mann (August Zirner) hat vergessen, eine Weihnachtsgans mitzubringen. Die alte Rosa (Bibiana Zeller) ist glücklich, weil sie endlich wieder eine Familie um sich herum hat. Sogar der ewig grantelnde Hausmeister (Fred Stillkrauth) taut auf. Und das junge Pärchen (Maria Weidner, Mario Klischies) feiert selbstredend ebenfalls Versöhnung.
Schon allein das großartig miteinander harmonierende und von Naefe scheinbar mühelos inszenierte Ensemble ist sehenswert. Auch die jungen Darsteller sind bemerkenswert gut geführt. Gerade Maria Weidner müsste nach diesem Film mit Angeboten überschüttet werden. Alle Schauspieler haben großen Anteil daran, dass dieser gefühlvoll-besinnliche, doch nie kitschige Film über die Einsamkeit des Großstädters zur Weihnachtszeit mitunter fast zu schön ist, um wahr zu sein. Die Grundstimmung mag melancholisch sein, verbreitet aber dennoch Lebensfreude, und daran kann selbst der Tod nichts ändern.