Für einen Sender wie das ZDF mit seinen vielen Reihen und Serien sind die besten Autoren vermutlich nicht jene, die die originellsten Geschichten anbieten, sondern im Gegenteil solche, die sich perfekt auf vorgegebene Rahmenbedingungen einlassen können. "Familie Bundschuh im Weihnachtschaos" ist dafür ein gutes Beispiel.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Filme über eine Berliner Familie, deren Zusammenkünfte regelmäßig im Chaos enden, basierten bislang auf Romanvorlagen von Andrea Sawatzki. Weil das fünfte Bundschuh-Buch aber noch auf sich warten lässt, hat das ZDF Kerstin Cantz beauftragt, kurzerhand ein Drehbuch "frei nach der Romanreihe" zu verfassen. Für die Autorin mag das ein eher ungewöhnlicher Stoff sein – sie hat unter anderem für Sat.1 die beiden mittelalterlichen Sittengemälde "Die Hebamme" geschrieben –, aber diese Auftragsarbeit hat sie perfekt erledigt.
Das war einerseits vermutlich nicht schwer, denn die Charaktere und ihre Macken musste sie ja nicht neu erfinden; andererseits galt es, allzu offenkundige Parallelen zum ersten Bundschuh-Film zu vermeiden, denn "Tief durchatmen, die Familie kommt" (2015) spielte ebenfalls zur Weihnachtszeit. Der Reihenauftakt war eine wunderbar gespielte Komödie mit boshaften Dialogen und wie die Fortsetzung, "Von Erholung war nie die Rede" (2017, Regie in beiden Fällen: Vivian Naefe), eine sehenswerte Kombination aus satirisch überspitzten Figuren und auf den Punkt inszenierten Gag-Feuerwerk.
Anschließend ging es allerdings kontinuierlich bergab, weil sich Handlung und Personal bloß noch im Kreis drehten, zumal das Erzählmuster ohnehin stets das gleiche ist: Die bedauernswerte Hausfrau Gundula (Sawatzki) ist mit einer Mischpoke geschlagen, die ihresgleichen sucht. Tapfer versucht sie dennoch jedes Mal, gute Miene zum bösen Spiel von Mutter Ilse (Thekla Carola Wied) und Schwiegermutter Susanne (Judy Winter) zu machen. Trotzdem mündet jedes Familientreffen gnadenlos im Chaos, was wiederum prompt eine Ehekrise nach sich zieht, weil sich Gatte Gerald (Axel Milberg), ein Abwiegler vor dem Herrn, aus allen Konflikten raushalten möchte.
Für die Unterschiede zwischen den einzelnen Geschichten sorgt eine jeweils hinzugefügte Variable: Im zweiten Film machte die Familie gemeinsam Urlaub auf Mallorca, im dritten ("Ihr seid natürlich eingeladen") ging die Trauerfeier für Gundulas Vater nahtlos in die Vorbereitungen für die Hochzeit ihres Sohnes Rolfi über, im vierten ("Wir machen Abitur") drohte Tochter Ricarda durchs Abi zu fallen.
Die beiden Komödien hatten jedoch bei Weitem nicht mehr den Unterhaltungswert der ersten Filme und gerieten zu Nummernrevuen, zumal die Figuren längst im eigenen Klischee erstarrt waren. Das ist bei "Familie Bundschuh im Weihnachtschaos" (Regie führt zum dritten Mal Thomas Nennstiel) zwar nicht anders, aber diesmal ist die Handlung immerhin wieder stärker im Fluss: Eine Woche vor Heiligabend nimmt sich Gundula fest vor, sich diesmal nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
Das ist jedoch quasi unmöglich, weil sich der Feind in ihren eigenen vier Wänden eingenistet hat. Schwägerin Rose (Eva Lobau) hat sich von Rolfis Schwiegervater schwängern lassen, was sich spätestens nach der Geburt nicht länger verheimlichen ließ, denn der Mann ist Afroamerikaner. Nun frönt sie in Ricardas Zimmer ihrer postnatalen Depression. Als sich Susanne das Sprunggelenk bricht, hat Gundula einen zweiten Pflegefall im Haus. Zu allem Überfluss stellt sich raus, dass die Schwiegermutter hoch verschuldet ist.
Gundulas lebensuntüchtiger Bruder Hadi (Stephan Grossmann) badet derweil in seinem Wohnmobil vor dem Haus in Weltschmerz und Selbstmitleid: Er fühlt sich angesichts des Babys, das ihm täglich Schwarz auf Weiß Roses Seitensprung vor Augen führt, entmannt. Buchstäblich Fahrt kommt allerdings erst in die Geschichte, als ausgerechnet die beiden einander spinnefeindlichen alten Fregatten, die zutiefst gekränkt sind, weil Gundula und Gerald ihnen endlich mal die Meinung gesagt haben, den Camper kapern und sich kurzerhand in einem feudalen Landhotel verwöhnen lassen. Gundulas Therapeut soll die Familie zum kollektiven Kniefall herbeikarren, was nach allerlei Wirrungen dazu führt, dass die Sippe an Heiligabend in einer Brandenburger Polizeistation landet.
Neben der abwechslungsreichen Handlung und der hörenswerten Jazzmusik (Jacki Engelken) sorgen vor allem das Ensemble, viele amüsante Einfälle und die kurzweiligen Dialoge dafür, dass "Familie Bundschuh im Weihnachtschaos" keine Zeitverschwendung ist; selbst wenn die immer wieder eingestreuten Klima-Pessimismen von Sohn Matz (Mathis Wernecke) allzu aufgesagt klingen.
Nennstiel hat es diesmal allerdings vermieden, den Film allzu klamottig werden zu lassen. Für Abwechslung sorgen auch die Gundulas Visionen, die sich unter anderem angesichts von Susannes Schulden als Flaschensammlerin sieht. Eher missraten ist dagegen ein Gastauftritt von Wilson Gonzales Ochsenknecht, der nun wirklich nicht wie ein Pfarrer wirkt. Der Seelsorger gewährt der Familie Kirchenasyl und verwendet sie kurzerhand als Statisten beim Christmetten-Krippenspiel; diese Besetzung sorgt allerdings in der Tat für eine verblüffende Schlusspointe.