Im ersten Teil des Jubiläumskrimis, mit dem die ARD fünfzig Jahre "Tatort" feiert, sind die Münchener Kommissare Leitmayr und Batic mit einem Haftbefehl für einen italienischen Mörder nach Dortmund gereist. Eher unwillig waren sie damit einverstanden, die Verhaftung zu verschieben, weil der westfälische Kollege größere Pläne hatte: Hauptkommissar Faber (Jörg Hartmann) hatte den Hinweis bekommen, dass die Mafia ein Restaurant als Umschlagplatz für Drogen benutzt. Er wollte die ganze Bande auffliegen lassen, doch die Aktion ist auf tragische Weise schiefgegangen. Die Frau des Restaurantbesitzers wurde gegen den eigenen Mann eingesetzt, was sie schließlich das Leben gekostet hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der zweite Teil setzt ein halbes Jahr später ein. Hauptfigur des Films ist nun die Tochter der ermordeten Frau, die mit ihrem Vater Luca Modica (Beniamino Brogi) und dem gesuchten Mörder Mauro (Emiliano de Martino) nach München geflohen ist. Sofia (Emma Preisendanz) hat keine Ahnung, dass Luca ihre Mutter getötet hat. Das Trio haust in einer Absteige und hängt am Tropf von Domenico Palladio (Paolo Sassanelli), dem Kopf der kalabrischen Mafia ’Ndrangheta in Süddeutschland. Der Mann nutzt seine Verbindungen zu einem Bauunternehmer, um Drogengeld zu waschen. Als der Leiter des Baudezernats die Mauscheleien publik machen will, sollen Modica und Mauro ihm einen Denkzettel verpassen. Weil das Opfer an Herzversagen stirbt, kommen Leitmayr und Batic (Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec) dem Trio auf die Spur. Zwischendurch versucht Sofia, ihre Mutter zu erreichen; auf diese Weise kommt auch Faber wieder ins Spiel, denn die Dortmunder Polizei hat bloß auf ein derartiges Lebenszeichen gewartet. Aber selbst die offensive Strategie des Kollegen aus Westfalen bringt die Ermittler nicht weiter: Ihre Bemühungen prallen an der berüchtigten Mafia-Mauer des Schweigens ab.
Schon der erste Film erzählte eine im Grunde überschaubare Geschichte, die letztlich von der Spannung lebte, ob es der Polizei gelingen würde, den Kampf gegen die Mafia zu gewinnen. Im zweiten Teil geht es vor allem um die Frage, ob die 17jährige Sofia heil aus der Sache rauskommt, was zur Folge hat, dass die junge Emma Preisendanz den Film tragen muss. Das allein ist schon gewagt, aber die Italiener stehen diesmal noch stärker im Zentrum; und sie reden fast nur italienisch miteinander. Aus Gründen der Authentizität ist es zwar löblich, dass die Dialoge nicht wie sonst üblich ausnahmslos eingedeutscht worden sind, aber auf Dauer ist es etwas mühsam, ständig Untertitel zu lesen. Außerdem sind die Figuren recht klischeehaft, was möglicherweise auch mit ihrer Darstellung zu tun hat: Sämtliche Schurken wirken wie Abziehbilder. Einzig Luca ist etwas differenzierter ausgefallen. Der Familienvater ist im Unterschied zu Mauro kein hartgesottener Verbrecher und hat Angst um seine Tochter.
Zweiteilige Fernsehfilme werden in der Regel von einem Regisseur inszeniert. In diesem Fall haben WDR und BR die Jubiläumsproduktion jedoch Dominik Graf (Teil eins) und Pia Strietmann (Teil zwei) anvertraut. Während Graf, Rekordhalter an Grimme-Preisen, seinen Beitrag mit großer Intensität umgesetzt hat, fällt Strietmanns Arbeit deutlich ab. Dabei hat die Regisseurin im Januar mit dem Hochspannungs-Thriller "Unklare Lage" (München) den wohl packendsten "Tatort" des Jahres gedreht. Ihre Fortsetzung beginnt zwar mit einer Szene, die vielen Zuschauern an die Nieren gehen wird, verliert anschließend aber deutlich an Intensität; fesselnd wird der zweite Teil erst wieder, als Sofia den Spieß rumdreht und Palladio ein Angebot macht, das er nicht ablehnen kann.
Über weite Strecken wirkt der Film ohnehin nicht wie ein "Tatort", sondern wie ein Mafia-Krimi, in dem die Polizisten bloß hilflose Nebenfiguren sind. Gerade Vater und Tochter umweht zwar eine gewisse Tragik, weil von vornherein klar ist, dass ihr Verhältnis für immer zerstört sein wird, zumal Mauro die beiden auf Geheiß Palladios umbringen soll, aber das genügt nicht, um die emotionale Spannung aufrecht zu erhalten. Seltsam auch, dass der Münchener Mafia-Boss genau weiß, wer die Kommissare sind, er kennt sogar Faber; eine Erklärung dafür liefert Bernd Lange, der die Drehbücher zu beiden Teilen geschrieben hat, nicht. Immerhin bringt der rüpelhafte Faber ein bisschen Schwung in die Geschichte, zumal die Kollegen ziemlich dumm aus der Wäsche schauen, als er plötzlich auftaucht. Nett ist auch eine kleine Reminiszenz an die Stippvisite nach Westfalen: Batic hat im Dortmunder Revier eine BVB-Tasse geklaut.