TV-Tipp: "Das Verhör in der Nacht"

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TV-Tipp: "Das Verhör in der Nacht"
30. November, ZDF, 20.15 Uhr
Das Drama "Das Verhör in der Nacht" basiert auf dem Theaterstück "Heilig Abend" von Daniel Kehlmann; er hat auch das Drehbuch geschrieben.

Zu Beginn wirkt die Situation bizarr, wenn nicht gar kafkaesk: An Heiligabend hindert ein Polizist eine Frau daran, ihre Eltern zu besuchen. Er bittet sie in ihr Hotelzimmer und beginnt eine typische Krimibefragung: Er will wissen, wie sie den gestrigen Tag verbracht. Nach und nach stellt sich allerdings raus, dass der namenlose Ermittler (Charly Hübner) gar keine Antworten braucht, denn er ist lückenlos im Bilde; und das nicht nur über gestern. Der Mann ist vom Staatsschutz und hat die Philosophieprofessorin Judith (Sophie von Kessel) offenbar schon lange im Visier. Er weiß nicht nur, dass ihr sexuell offenbar recht umtriebiger Ex-Mann sie beim gemeinsamen Klettern neun Stunden in einer Wand zurückgelassen, sondern auch, dass die beiden während eines Aufenthalts in Bolivien mit gefälschten Passen nach Chile eingereist sind. Er weiß sogar, wie oft sie ihre Eltern angerufen hat, während sie in Südamerika war. Eins jedoch weiß er nicht: wo sie die Bombe versteckt hat, die an Weihnachten explodieren und ein Zeichen setzen soll.

Das Drama "Das Verhör in der Nacht" basiert auf dem Theaterstück "Heilig Abend" von Daniel Kehlmann; er hat auch das Drehbuch geschrieben. Wenn Fernsehfilme auf solchen Vorlagen basieren, ist naturgemäß die Gefahr groß, dass die Umsetzung tatsächlich wie ein verfilmtes Bühnenstück wirkt. Hinzu kommt, dass Theaterdialoge anders klingen als Filmgespräche, die sich in der Regel um eine gewisse Alltagsnähe bemühen. Auch Kehlmanns Adaption kann die Vorlage gerade zu Beginn nicht verleugnen. Dieser Eindruck verflüchtigt sich jedoch, je länger der Ermittler und die Verdächtige miteinander sprechen. Fast wirkt es so, als hätten Charly Hübner und Sophie von Kessel erst mit ihren Rollen warm werden müssen, was zumindest in ihrem Fall nicht stimmen kann, denn sie hat das Stück bereits auf der Bühne gespielt und sogar den Anstoß zur Verfilmung gegeben. Vermutlich ist diese anfängliche Distanz sogar Teil des Konzepts, schließlich fremdeln auch die beiden Figuren zunächst miteinander, was sich gerade im Fall von Judith durchaus nachvollziehen lässt. Die Umsetzung durch den dreifachen Grimme-Preisträger Matti Geschonneck ("Die Nachrichten", "Liebesjahre", "Das Ende einer Nacht") und die gleichfalls vielfach ausgezeichnete Kamerafrau Judith Kaufmann bei ihrer dritten Zusammenarbeit nach "Das Ende einer Nacht" und "Das Zeugenhaus" sorgt ohnehin dafür, dass das Kammerspiel nicht nach Bühne aussieht.

Es wird kein Zufall sein, dass der TV-Titel an Claude Millers französischen Klassiker "Das Verhör" (1981) mit Lino Ventura als Kommissar und Michel Serrault als Verdächtiger erinnert, selbst wenn Kehlmann die Situation noch radikaler zugespitzt hat. Bei ihm gibt es mit Ausnahme der Polizisten vor der Zimmertür praktisch keine Nebenfiguren; "Das Verhör in der Nacht" ist ein reines Zwei-Personen-Stück. Umso größer ist die Leistung von Hübner und von Kessel. Da Judith als anscheinend unbescholtene selbstbewusste Professorin mit der Solidarität des Publikums rechnen kann, hat Hübner die schwierigere Aufgabe, denn auch der Staatsschützer möchte zur Sympathiefigur werden, schließlich geht er davon aus, dass sein Gegenüber keineswegs so unschuldig ist, wie die Umstände nahelegen. Tatsächlich haben die Ermittler in ihrer Wohnung auf einem Computer, der nicht mit dem Internet verbunden ist, einen Bekennerbrief gefunden. Glaubwürdig kann Judith darlegen, dass das Schreiben der Vorbereitung auf ein Seminar diente, in dem sie mit den Studierenden darüber diskutieren will, ob Gewalt bei der Durchsetzung politischer Ziele ein vertretbares Mittel ist; und so entwickelt sich das Gespräch mehr und mehr zu einem höflich ausgetragenen Machtkampf zweier Persönlichkeiten mit grundverschiedenen Weltanschauungen.

Dass sich Geschonneck gut überlegt hat, wem er die beiden Rollen anvertrauen soll, bedarf im Grunde keiner Erwähnung; aber ob’s funktioniert, weiß man immer erst beim Drehen. Während Sophie von Kessel die Professorin als kühle und beherrschte Frau verkörpert, die sich nicht in die Karten schauen lässt, darf Hübner ein größeres Spektrum bespielen. Mal ist der Staatsschützer die Katze, die die Maus noch ein bisschen zappeln lässt, dann gibt er sich selbstgefällig und überheblich, weil er Judiths Profession offenkundig für Zeitverschwendung hält, obwohl er sich sogar durch ihre 467 Seiten starke Habilitation gearbeitet hat; trotzdem lässt er sich auf die eine oder andere philosophische Fachsimpelei ein. Obwohl er zwischendurch immer wieder anmerkt, dass die Zeit dränge, dauert es eine Weile, bis er endlich auf den Punkt kommt: Der Staatsschutz hat auch Judiths Ex-Mann und angeblichen Komplizen geschnappt. Wer den anderen zuerst belastet, kann mit einer milderen Strafe rechnen. Die Spannung resultiert daher im Wesentlichen aus zwei Fragen: Wird die Frau ihren Ex-Mann verraten? Oder ist die einzig und allein auf dem Entwurf im Computer basierende Theorie des Staatsschützers kompletter Unfug? Eine gewisse Affinität zu revolutionären Umsturztheorien kann Judith zwar nicht verhehlen, aber davon abgesehen wirkt die elegant gekleidete Professorin, die doch bloß das Weihnachtsfest mit ihren Eltern verbringen wollte, gewiss nicht wie eine Frau, die im Keller eine Bombe bastelt. Der Staatsschützer ist dennoch überzeugt, dass diese Bombe nun tickt. In der Bühnenversion gibt es sogar eine Art Countdown, dort hat der Beamte nur neunzig Minuten Zeit, weshalb immer wieder eine Uhr zu sehen ist; diesen Spannungsverstärker hat das Fernsehspiel in der Tat gar nicht nötig.