Brüssel, Berlin (epd). Der Migrationsexperte Gerald Knaus fordert, in der Flüchtlingspolitik nicht länger auf eine gesamteuropäische Lösung zu warten. "Will die Mehrheit in Deutschland oder Frankreich Kontrolle und humane Grenzen verbinden? Dann sollte sie als Koalition vorangehen," sagte der Vorsitzende der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Man solle sich "nicht durch die Verweigerung anderer am Handeln behindern lassen", erklärte Knaus. An diesem Freitag wollen die EU-Innenminister über die gemeinsame Asylpolitik beraten.
In manchen EU-Staaten wie Ungarn oder Griechenland setze man heute auf die Abschreckung von Asylbewerbern, machte Knaus deutlich. "Wir sehen es in den katastrophalen Aufnahmezentren auf den ägäischen Inseln. Auch bei der Behinderung der Seenotrettung im zentralen Mittelmeer und der Zusammenarbeit mit libyschen Institutionen, die Menschen in Folterlager zurückbringen."
Knaus gilt als einer der Architekten des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens von 2016. Darin verpflichtete sich die Türkei zur Rückübernahme aller irregulär auf die griechischen Inseln gelangten Migranten ohne Schutzrecht in der EU. Zwar sanken die Ankünfte nach dem Pakt massiv. Knaus kritisiert dennoch dessen Praxis. Es sei der EU "nicht im Ansatz gelungen, faire Asylverfahren schnell abzuwickeln", so der Österreicher und Wahlberliner. "Abschreckung erfolgte dafür durch schlimme Bedingungen."
Mit Blick auf das Mittelmeer insgesamt plädiert der 50-Jährige zum einen für Seenotrettung. Zugleich müsse man von Vornherein "dafür sorgen, dass sich weniger in die Boote setzen". Deswegen brauche es schnelle faire Asylverfahren und gegebenenfalls Abschiebungen. Und zum anderen die legale Aufnahme von Schutzbedürftigen aus Drittländern. "So nahm Australien Anfang der 1980er Jahre Bootsflüchtlinge direkt aus südostasiatischen Flüchtlingslagern auf. Damals fiel die Zahl der irregulären Ankünfte auf null", sagte Knaus, von dem kürzlich das Buch "Welche Grenzen brauchen wir?" erschienen ist. Heute sei Kanada ein Land, das per Neuansiedlung jährlich viele Flüchtlinge aufnehme.
Um Asylverfahren in der EU zu beschleunigen, sollte man Knaus zufolge auf bewährte nationale Behörden bauen. Die nötigen Erfahrungen finde man "nicht in Brüssel, sondern in Nürnberg, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), in französischen und niederländischen Asylbehörden". Es brauche "die Ressourcen, um bei niedrigen Ankunftszahlen binnen Wochen auf den griechischen Inseln, auf Malta oder in Melilla Entscheidungen zu treffen" erklärte der Migrationsforscher. "Die Alternative dazu sehen wir heute: inhumane Bedingungen und illegale Push-Backs."