Junge Frau kehrt aus der Großstadt in ihre alte Heimat irgendwo in der Provinz zurück, um endlich Licht ins Dunkel eines Jahrzehnte zurückliegenden Familiendramas zu bringen: gut möglich, dass mittlerweile nicht nur Kritiker, sondern auch die Fernsehfilmredaktion des ZDF auf solche Filmideen mit einem geseufzten "Nicht schon wieder" reagiert. Andererseits ist es regelmäßig erstaunlich, welche neuen Facetten sich diesem Handlungskern immer wieder abgewinnen lassen. Dominique Lorenz hat zwar auch schon die eine oder andere Krimifolge geschrieben, aber ihr guter Ruf als Autorin basiert in erster Linie auf Komödien. Davon ist "Das Tal der Mörder" weit entfernt. Als ihre Mutter Alma im Sterben liegt, erfährt Jurastudentin Eva Kufner (Anna Unterberger) endlich, warum stets ein Schatten über dem Leben der beiden lag: Vor 32 Jahren ist ihr Vater im Salzburger Land in einen Marmorsteinbruch gestürzt. Ihre schwangere Mutter war damals überzeugt, dass der Mörder sein bester Freund Anton war, aber der hatte ein Alibi. Verurteilt wurde stattdessen Alma: wegen Verleumdung. Sie hinterlässt ihrer Tochter das Vermächtnis, den Tod des Vaters aufzuklären.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Clever verknüpft das Drehbuch die alte Tat mit einer neuen: Anscheinend ist Anton Gasser (Fritz Karl), der "Marmorkönig", erneut zum Mörder geworden, denn nun ist fast an derselben Stelle wie einst Evas Vater die Frau des einflussreichen Steinbruchbesitzers ums Leben gekommen. Eva reist also ins Salzburger Land, verdingt sich unter falschem Namen als Haushaltshilfe auf dem Gasser-Hof und sucht nach Hinweisen, die den Patriarchen als Doppelmörder überführen. Der alte Gasser führt Firma und Familie mit harter Hand und hat keinerlei Verständnis dafür, wie sehr sich der jüngere Sohn, Florian (Gerrit Klein), in seiner Trauer gehen lässt. In Wirklichkeit ist Anton allerdings längst nicht so hart, wie er sich gibt, und Eva stellt schockiert fest, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlt – zu jenem Mann also, der womöglich ihren Vater und seine eigene Frau auf dem Gewissen hat.
Der erfahrene österreichische Regisseur Peter Keglevic, einst für Werke wie "Du bist nicht allein - Die Roy Black Story" (1996) und "Der Tanz mit dem Teufel – Die Entführung des Richard Oetker" (2000) mit allen wichtigen Fernsehpreisen ausgezeichnet, hat in den letzten Jahren dank der "Dorf"-Reihe im ZDF ("Die Fremde und das Dorf", "Ein Geheimnis im Dorf", "Treibjagd im Dorf", 2014 bis 2017) eine ganze Reihe solcher Filme gedreht, deren Reiz in der Mischung aus Heimatdrama und Krimi liegt. Für die Bildgestaltung der Trilogie war Emre Erkmen verantwortlich, der auch in "Das Tal der Mörder" für viele eindrucksvolle Momente sorgt. Die Dreharbeiten fanden im Spätherbst statt, die Landschaft ist ebenso kalt und abweisend wie der alte Gasser; kein Wunder, dass sich Stadtkind Eva äußerst unwohl in ihrer Haut fühlt. Gerade die Nebelbilder sorgen für eine fröstelige Atmosphäre, die perfekt zur Stimmung auf dem Hof passt. Entscheidend für die Wirkung dieser Aufnahmen ist die Musik von Jürgen Ecke, die von Anfang an für eine bedrohliches Atmosphäre sorgt; die Bildgestaltung tut dann das ihre dazu, um das düstere Anwesen der Gassers mit entsprechender Stimmung zu füllen.
Darstellerisch ist der Film ohnehin sehenswert. Fritz Karl spielt einen Mann wie Gasser zwar nicht zum ersten Mal, macht das aber stets formidabel, weil er es ausgezeichnet versteht, die Rolle in der Schwebe zu halten: Ist Anton tatsächlich ein zweifacher Mörder oder nicht doch die tragische Figur der Geschichte? Je größer die hintergründige Sympathie für den zornigen Despoten wird, desto stärker bröckelt der Verdacht, zumal Eva erkennt, dass sich die Welt nicht einfach in Schuldige und Unschuldige aufteilen lässt. Auch Anna Unterberger, die sich spätestens als weibliche Hauptdarstellerin von "Gundermann" in die erste Reihe gespielt halt, sorgt dafür, dass Eva bis zur letzten Szene eine ambivalente Figur bleibt: Hat sie sich tatsächlich in Gasser verliebt – oder tut sie nur so, um ihn aus der Reserve zu locken? Antons älterer Sohn (Franz Dinda) hält die vermeintliche Haushaltshilfe ohnehin für eine Erbschleicherin. Vorzüglich besetzt sind auch zwei Nebenrollen. Gertrud Roll und Franz Buchrieser spielen ein altes Ehepaar, das der Familie treu ergeben ist: Kurt hat Anton für den Zeitpunkt, als Evas Vater gestorben ist, ein Alibi gegeben, und die fromme Thea verbringt viel Zeit mit den Fotos der Familienmitglieder; in ihren Gebeten bittet sie um eine Balance zwischen den Lebenden und den Toten.
"Das Tal der Mörder" ist ohnehin kein typischer Krimi, aber frühere Drehbücher von Dominique Lorenz waren auch keine typischen Komödien; in "Wer hat Angst vorm weißen Mann?" (2013) zum Beispiel ging es die Frage, wie sich alltäglicher Rassismus durch Freundschaft überwinden lässt, und "Annie - kopfüber ins Leben" (2020) war ein nur scheinbar heiteres Drama über eine vernachlässigte Ehefrau. Zu den besten Büchern der Autorin gehört das exzellent geschriebene Ensembledrama "Eine harte Tour" (2020), in dem sich ein Freundeskreis als selbstgerechter Haufen entpuppt.