Witzbolde würden ergänzen: "…und die Erde ist eine Scheibe". Tatsächlich ist es jedoch einigermaßen verstörend, was die Wissenschaftlerin – oder sollte es besser "Wissenschaftlerin" heißen? – von sich gibt. Ganz ernsthaft verkündet die promovierte Paläontologin ihre Sicht der Weltentstehung. Filmautorin Sarah Fournier hat die Frau im Creation Museum in Petersburg, Kentucky, getroffen. Kreationisten glauben, dass Gott die Welt erschaffen hat. Das tun andere Christen natürlich auch, aber die Kreationisten nehmen die Bibel beim Wort. Sie sind überzeugt, dass die gesamte Schöpfung gerade mal 6.000 Jahre alt ist. Auf die Frage, wie sie sich menschliche Skelette erkläre, die eindeutig älter seien, nämlich bis zu einigen Millionen Jahren, antwortet die Wissenschaftlerin ohne einen Hauch von Zweifel: Das seien Fälschungen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Nachfragen dieser Art stellt Fournier leider viel zu selten, was schade ist, denn viele ihrer Beobachtungen schreien geradezu danach; die Autorin beschränkt sich jedoch darauf, den Menschen zuzuhören. Vielleicht ging das auch gar nicht anders, weil ihre Interviewpartner die Gespräche sonst abgebrochen hätten. So jedoch geben sich die Männer, Frauen und Jugendlichen sehr offen. Einige Familien erweisen sich zudem als ausgesprochen gastfreundlich und haben dem Filmteam bereitwillig ihr Haus geöffnet. Sie alle sind Evangelikale, und unter anderen Umständen ließen sich ihre seltsamen Anschauungen als Irrwege einer Minderheit betrachten, aber mit 60 Millionen Mitgliedern gelten die Evangelikalen als die größte Religionsgruppe in den USA. So erklärt sich auch der Titel "Bibeltreue Supermacht". Die Macht resultiert nicht allein aus der schieren Größe, sondern vor allem aus dem Einfluss: Die Kirchen sind reich, in vielen Orten prägen sie das Leben der jeweiligen Gemeinde.
Bei ihrem Streifzug hat Fournier unter anderem auch die Arche Noah entdeckt. Der 155 Meter lange und mehrere Tonnen schwere Nachbau ist ein beliebtes Ausflugsziel für Kreationisten. Als Noah das Schiff erbaut hat, war er 600 Jahre alt, erfährt die Autorin. Die Menschen, wird ihr erklärt, seien damals anders gealtert; die Satirikertruppe Monty Python hätte sich das nicht besser ausdenken können. Was wie ein Kuriositätenkabinett wirkt, ist für diese Leute jedoch heiliger Ernst. Dabei machen sie auf den ersten Blick einen ganz vernünftigen Eindruck: Sie sind liebevolle Eltern, die ihre Kinder in einer friedlichen Welt aufwachsen sehen wollen. Die Teenager wiederum versichern, sie ließen die Finger von Alkohol und Drogen, das sei alles Sünde, ebenso wie Sex vor der Ehe. Um nicht doch in Versuchung geführt zu werden, nehmen sie offenbar auch schon mal Vater oder Mutter mit zum Rendezvous.
Das alles ist zwar irritierend, wirkt zunächst jedoch ähnlich harmlos wie der "Heilige Käsekuchen" im "God Café". Der Unterschied zu den Fundamentalisten anderer Religionen ist nicht zuletzt quantitativer Natur: Die Evangelikalen sind keine Splittergruppe, selbst wenn Fourniers Einschätzung, 40 Prozent der Amerikaner glaubten an den Kreationismus, übertrieben klingt. Warum die Anschauungen dennoch durchaus gefährlich sind, dokumentiert der Film am Schluss. Für eine erste Verunsicherung sorgt zuvor ein Pfarrer, der selbst während des Gottesdienstes eine Pistole im Hosenbund hat. Später begleitet er einen Polizisten bei dessen abendlicher Streife, um verirrte Schafe auf den rechten Weg zurückzugeleiten. Fournier will damit zeigen, dass die offizielle Trennung von Kirche und Staat in den USA eine Illusion ist.
Den Abschluss der bizarren Reise bildet eine weitere Begegnung mit einem scheinbar harmlosen Familienvater. Chris beweist sogar Sinn für Humor, als er sein Lebensmotto "Gott, Nation, Familie" zu "Gott, Nation, Barbecue" paraphrasiert. Dann jedoch wird die Sache ernst: Fournier darf ihn zum Schießtraining begleiten. Chris gehört zu einer paramilitärischen Gruppierung, die bereit ist, ihren "Way of Live" mit Schnellfeuergewehren zu verteidigen; sie seien "wie Pfadfinder auf Steroiden", sagt er. Die Männer trainieren in uniformähnlicher Kleidung den Häuserkampf gegen Kommunisten und Atheisten. Hierzulande wäre es kaum vorstellbar, dass eine derartige Gruppe ein Kamera-Team diese Machenschaften filmen ließe. Dass Chris und seine Kameraden nichts dabei finden, sondern im Gegenteil sichtlich stolz darauf sind, ist fast noch erschreckender als ihre Mission. Sie träumen von einer rein christlichen Nation, selbstredend unter ihren Prämissen; die Dokumentation gibt einen Vorgeschmack darauf, wie diese Nation aussehen würde.