Fastenmail Woche 33: Ich will suchen, den meine Seele liebt

Frau einsam auf Straße
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"Schauen Sie verliebt auf all die, die Ihre Seele liebt" wie im "Hohelied der Liebe", empfiehlt Frank Muchlinsky in seiner 33. Fastenmail.
Fastenmail Woche 33: Ich will suchen, den meine Seele liebt
Sieben und mehr Wochen Zuversicht
Verliebt zu sein macht aktiv. Man kann zum Beispiel nachts durch die Stadt laufen und nach dem Liebsten suchen. So geschieht es im Hohelied der Liebe. Was man noch tun kann, erzählt Frank Muchlinsky in seiner neuen Zuversichts-Mail.

Des Nachts auf meinem Lager suchte ich, den meine Seele liebt. Ich suchte, aber ich fand ihn nicht. Ich will aufstehen und in der Stadt umhergehen auf den Gassen und Straßen und suchen, den meine Seele liebt. Ich suchte, aber ich fand ihn nicht. Es fanden mich die Wächter, die in der Stadt umhergehen: „Habt ihr nicht gesehen, den meine Seele liebt?“ Als ich ein wenig an ihnen vorüber war, da fand ich, den meine Seele liebt. Ich hielt ihn und ließ ihn nicht los, bis ich ihn brachte in meiner Mutter Haus, in die Kammer derer, die mich geboren hat. – Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, bei den Gazellen oder bei den Hinden auf dem Felde, dass ihr die Liebe nicht aufweckt noch stört, bis es ihr selbst gefällt.

Hoheslied 3,1?5 (Hier gelesen von Helge Heynold)

Liebe Menschen im Herbst,

sind Sie gern verliebt? Genießen Sie es, einen anderen Menschen voll inniger Zuneigung anzuschauen? Mögen Sie es, wenn Ihr Lächeln immer breiter wird, wenn Sie an einen geliebten Menschen denken? Empfinden Sie Schmetterlinge im Bauch als angenehm und Sehnsucht als gleichzeitig süß und bitter? Ich wünsche Ihnen das sehr, und bitte wehren Sie nicht ab mit dem Argument, Verliebtsein sei doch eher etwas für sehr jugendliche Menschen! Sie müssen sich ja nicht unbedingt in jemanden verlieben, den Sie bisher noch nicht geliebt haben. Es geht mir einfach um eine verliebte Grundhaltung. Es geht mir um diesen Blick auf einen anderen Menschen, der uns aktiv werden lässt, weil wir uns um diese Person kümmern wollen, ihr nah sein, ihr gefallen wollen, weil sie uns so sehr gefällt. Dieser Blick sollte nie erlöschen.

Das Hohelied der Liebe ist ein Buch der Bibel, in dem Gott eigentlich keine Rolle spielt. Zumindest spielt er keine aktive Rolle hier. Stattdessen spielen hier zwei bis über beide Ohren Verliebte die Hauptrollen. Sie reden einander an, sie schmachten einander an und suchen immer wieder nach den schönsten Worten, um ihre Liebe und die oder den anderen zu beschreiben. Dabei erscheinen uns heute viele ihrer Bilder fremd. Der Text, den ich für diese Woche ausgesucht habe, nimmt auch einen ungewöhnlichen, ja merkwürdigen Verlauf. Jemand sehnt sich nachts schlaflos nach dem Geliebten, beschließt aufzustehen und irrt dann beinahe schlafwandelnd durch die Straßen, immer auf der Suche nach dem, „den meine Seele liebt“. Aber anstatt zu finden, wird die suchende Person selbst gefunden, quasi von der Polizei aufgegriffen. „Habt ihr ihn gesehen?“ Anscheinend bekommt sie keine Antwort, oder hört sie in ihrem Zustand überhaupt zu, was man ihr sagt? Sie geht weiter und da endlich ist er, „den meine Seele liebt“. Umarmung ohne Ende, bis der Geliebte mitkommt nach Hause an den intimsten aller Orte, dorthin, wo das Leben begann. Und dann folgt eine Beschwörung. Sie richtet sich an die Bewohnerinnen der Stadt und an die wilden Tiere außerhalb der Stadtmauern. Stört die Liebe nicht! Weckt sie nicht auf! Sie soll von allein wach werden. Ein guter Wunsch! Die Liebe soll selbst bestimmen, wann sie erwacht. Nicht Menschen noch Natur sollen diktieren, wann ich liebe, sondern die Liebe selbst.

Der Text wirkt wie ein Traum, in dem sich ein Traum erfüllt. Von der Sehnsucht bis zum Zusammensein und zu dem Moment, an dem Liebe endgültig erwacht. Man darf zu Recht fragen, wie es dieser Text in die Bibel geschafft hat. Schließlich ist die Bibel doch die Sammlung der Schriften, die das Heilshandeln Gottes beschreibt. Es hat in der Geschichte einige Verrenkungen gegeben, um zu erklären, was diese Sammlung von Liebesgedichten mit Gott zu tun hat. Beliebt war lange Zeit eine Auslegung, nach der der Geliebte Jesus Christus und die Geliebte seine Kirche sind. Ich denke vielmehr, dass die Sammlung der Schriften in der Bibel das ganze Leben beschreiben soll, und dazu gehören Liebe und Verliebtheit absolut dazu. Und ist nicht das doppelte Liebesgebot das höchste aller Gebote? Sicher, hier geht es um die Liebe zu Gott und zu unseren Nächsten. Das klingt zunächst wenig nach Verliebtsein, sondern nach freundlicher Zuwendung. Aber wenn man sich anschaut, mit welcher Leidenschaft Jesus die Menschen liebte, kann ein biblisches Buch, das sich ganz dem leidenschaftlichen Verliebtsein widmet, hilfreich sein.

Verliebt zu sein bedeutet, aktiv zu werden. Es bedeutet, mitten in der Nacht aufzustehen und nach dem zu suchen, den die Seele liebt. Es bedeutet, am geliebten Gegenüber alles schön zu finden und es auszusprechen. Wer Gott so liebt, dankt und lobt aus tiefster Seele. Wer andere Menschen so liebt, will sie halten und nicht mehr loslassen und ihnen Liebesgedichte schreiben. Sicherlich ahnen Sie bereits, worauf ich mit der Wochenaufgabe diesmal hinauswill. Aber Sie müssen nicht zur Poetin oder zum Dichter werden. Die Aufgabe ich noch leichter: Schauen Sie verliebt auf all die, die Ihre Seele liebt. Erfreuen Sie sich an ihrer Schönheit, an ihrem Witz und ihrem Geist. Und dann werden Sie aktiv, und machen Sie ihnen Komplimente! Haben Sie keine Angst vor zu viel Überschwang. Man wird Ihnen anmerken, dass Sie es ernst meinen. Beschränken Sie sich nicht nur auf eine Person. Sie dürfen die ganze Welt auf diese Weise verliebt anschauen. Und wenn Sie jemanden doch sehr überraschen, dürfen Sie ihr oder ihm sagen, dass es meine Idee war.

Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche.

Ihr Frank Muchlinsky