Tatsächlich setzt sich Martin Rauhaus, Schöpfer unter anderem der ARD-Reihe "Hotel Heidelberg" und stets ein Garant für Unterhaltung mit Anspruch, mit einer Frage auseinander, die über kurz oder lang jeden betrifft: Wie lässt sich der Lebensabend möglichst sinnvoll und erfüllt gestalten? Das klingt zwar nach Rentnerfilm, zumal die beiden Titelfiguren ihren Zenit in der Tat überschritten haben, aber die Umsetzung durch Ralf Huettner ("Die Musterknaben"), für die heitere Serie "Dr. Psycho" (2007) mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, macht "Anna und ihr Untermieter" auch für ein jüngeres Publikum interessant. Sehenswert ist der mögliche Auftakt zu einer neuen ARD-Freitagsfilmreihe zudem schon allein wegen Katerina Jacob, die seit dem Ende der Sat.1-Serie "Der Bulle von Tölz" (1995 bis 2005) kaum noch Hauptrollen bekommen hat, sowie Ernst Stötzner. Die Dialoge sind wie stets bei Rauhaus ohnehin ein Genuss.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Handlung beginnt mit einer Erfahrung, die viele Menschen Anfang sechzig machen: Anna, Leiterin einer Parfümerieabteilung, hat dank eines unfreiwilligen vorgezogenen Ruhestands plötzlich mehr Zeit, als ihr lieb ist. Sie ist vor Jahren vom Gatten wegen einer jungen Thailänderin sitzen gelassen worden, aber seither immerhin alleinige Besitzerin einer Eigentumswohnung samt Garten. Um finanziell über die Runden zu kommen, sucht sie einen Untermieter in ihrem Alter. Es meldet sich Werner Kurtz (Stötzner), ein Mann von Ende sechzig, der sich auf der Temperamentskala am komplett anderen Ende bewegt: unleidlich, besserwisserisch, penibel; ein unsympathischer "Pingelskopp", wie man im Rheinland sagt, der seine Sätze stets im Duktus eines Behördenchefs vorträgt. Tatsächlich war Kurtz bis zu seiner Pensionierung Leiter des Ordnungsamts Köln Süd. Er bekommt das Zimmer trotz aller Vorbehalte; immerhin kann sich Anna bei ihm darauf verlassen, dass er die Miete pünktlich zahlt.
Allein diese Konstellation birgt bereits eine Menge Potenzial, das Rauhaus und Huettner aber nie für plumpe Scherze ausnutzen. Zunächst lebt der Film vor allem von den Auseinandersetzungen der beiden Hauptfiguren, die sich wie ein altes Ehepaar ständig in die Wolle kriegen; gerade Stötzners Dialogsätze triefen mitunter vor Sarkasmus. Der Humor resultiert nicht zuletzt aus dem Aufeinanderprallen zweier grundverschiedener Lebenshaltungen: Annas Devise lautet "Die Zukunft ist voller Möglichkeiten"; sie glaubt auch im Alter noch an Hoffnungen, Pläne und Träume. Werner hält diese Einstellung für naiv; seiner Ansicht nach lebt seine Vermieterin auf einer "blumigen Wolke aus Positivität". Für ihn sind die Jahre, die noch bleiben, bloß eine "Restlaufzeit".
Zum Glück belässt es Rauhaus weder beim kurzweiligen Disput noch beim auf Dauer vermutlich unbefriedigenden Konstrukt à la "Ein seltsames Paar". Anna arbeitet ehrenamtlich für die Kölner Telefonseelsorge, wo Menschen anonym ihr Herz ausschütten können. Besonders am Herzen liegen ihr die Gespräche mit einer Anruferin, die regelmäßig von ihrem gewalttätigen Freund berichtet. Als die offenkundig lebensmüde junge Frau eines Nachts Abschied nimmt, bittet Anna ihren Untermieter um Hilfe. Der will sich zwar nicht in fremde Angelegenheiten mischen, findet aber dank seiner alten Kontakte heraus, wem das Mobiltelefon gehört, mit dem die Frau angerufen hat. Die hübsche Philosophiestudentin Saskia (eine Entdeckung: Berit Vander) hat zwar in der Tat einige Probleme, macht aber alles andere als einen lebensmüden Eindruck; und ihr Freund ist ziemlich sympathisch. Souverän sorgen die beiden Schutzengel dennoch dafür, dass sich Saskia fortan unbeschwert auf ihr Studium konzentrieren kann; bis sie erkennen, dass sie einen fatalen Fehler begangen haben.
Schon die Geschichte ist originell, aber noch besser ist die Kombination von Vorder- und Hintergrund: Rauhaus verknüpft den Motor der Handlung, das Engagement von Anna, plausibel mit der Konfrontation der beiden unterschiedlichen Charaktere. Witwer Kurtz ("wie das Gegenteil von lang, nur mit tz") war vermutlich schon immer ein Grantler, aber der Tod seiner Frau dürfte seine pessimistische Grundhaltung noch verstärkt haben. Weil er sich mit Sohn und vor allem Schwiegertochter überworfen hat, ist er aus dem eigenen Haus aus- und in ein billiges Vertreterhotel gezogen. Bis zum Einzug bei Anna war sein einziger regelmäßiger Gesprächspartner ein etwas zerrupfter Erpel beim Joggen am Aachener Weiher. Der Titelzusatz ("Aller Anfang ist schwer") lässt auf eine Fortsetzung hoffen, was die ARD-Tochter Degeto jedoch wie stets vom Zuspruch der Zuschauer abhängig macht.