Dass die Hauptfigur, Leonard Gehra (Matthias Koeberlin), ein Geophysiker ist, dessen Beruf darin besteht, tatsächlich im Dreck zu wühlen, ist nicht nur eine schöne Analogie, sondern auch der Grund für die Heimkehr: Leonard hat mit seiner Firma einen Roboter entwickelt, der in Stollen und Minen auch jene Ecken erreicht, in die sich kein Mensch mehr traut. Nun soll er in seiner alten Heimat herausfinden, ob es sich lohnt, im örtlichen Bergwerk nach Silber zu suchen. Auftraggeberin ist eine Geologin, die sich als seine Sandkastenliebe Kathrin (Catherine Bode) entpuppt. Der Physiker muss sich allerdings erst von seiner Frau (Liane Forestieri) zur Rückkehr überreden lassen, und prompt übermannen ihn schon während der Zugfahrt düstere Erinnerungen: Der Vater ist einst in dem Bergwerk ums Leben gekommen, seine Mutter hat ihn anschließend in ein Internat abgeschoben; der Kontakt beschränkt sich auf Weihnachtskarten, die Leonard nicht mal selbst schreibt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Bis zu diesem Punkt ist "Böse Wetter" (eine Wiederholung aus dem Jahr 2016) ein ganz normales Drama, das sich von ähnlichen Geschichten vor allem durch die Hauptfigur unterscheidet: Meist sind es in solchen Filmen Frauen, die heimkehren. Aber es hat natürlich seinen Grund, warum das Drehbuch, das Produzent Michael Gebhart gemeinsam mit Nicholas Hause (nach einer Idee von Elisabeth Herrmann) geschrieben hat, die Handlung im ostdeutschen Teil des Harzes ansiedelt: Mit Hilfe seines Roboters entdeckt Leonard, dass der Stollen, in dem sein Vater angeblich verschüttet wurde, intakt ist. In Wirklichkeit haben sich die damaligen Ereignisse ganz anders zugetragen: Seine Eltern wollten gemeinsam mit ihrem Sohn durch das Stollensystem in den Westen flüchten, aber sie sind verraten worden und den Grenzschützern in die Arme gelaufen. In den archivierten Stasi-Unterlagen findet Leonard den Decknamen des Verräters, "IM Brocken"; und er ist überzeugt, dass sich dahinter niemand anders als Bergwerksbesitzer Türnitz verbirgt, der angeblich der Geliebte seiner Mutter war und womöglich sogar sein leiblicher Vater ist.
Selbst wenn es keine anderen Gründe gäbe, die "Böse Wetter" zu einem besonderen Film machten, die Besetzung des vermeintlichen Verräters wäre einer: Es war die Abschiedsrolle des wenige Monate nach der Erstausstrahlung verstorbenen Götz George, und seine gewohnt vitale Vorstellung ist keineswegs nur aus diesem Grund eindrucksvoll. Er verkörpert den Mann mit einer patriarchalischen Strenge, die Türnitz nicht unbedingt sympathisch erscheinen lässt. Der Verratsverdacht trägt naturgemäß wenig dazu bei, diesen Eindruck zu ändern, und selbstredend bezieht der Film einen Gutteil seiner Spannung aus der Frage, ob Türnitz tatsächlich der Schurke der Geschichte ist. Das Drehbuch treibt die Konfrontation zwischen den beiden Antagonisten auf die Spitze, als sie gegen Ende gemeinsam im Bergwerk nach Türnitz’ kleinem Sohn suchen und nach einem Einsturz in Lebensgefahr schweben. Wie der Bergwerksbesitzer wirklich in die Sache verwickelt war und wer die Familie Gehra tatsächlich verraten hat, ist ein echter Knüller.
Zum Glück haben Gebhart und Hause auf einen Spannungsverstärker ganz anderer Art verzichtet: Kathrin hegt immer noch gewisse Gefühle für Leonard, aber der bleibt seiner Frau treu; im üblichen Muster solcher Heimkehrgeschichten stellen die Heldinnen meist fest, dass es zuhause doch am schönsten und die Jugendliebe der richtige Mensch an ihrer Seite ist. Auch sonst ist "Böse Wetter" – der Begriff aus der Bergbausprache bezieht sich auf giftige Gasgemische – ein in jeder Hinsicht seriöser Film. Die wirtschaftlichen Hintergründe der strukturschwachen Region zum Beispiel sind nicht bloß Beiwerk; die Bergwerksarbeiter fürchten zu Recht um ihre Zukunft, falls demnächst Schicht im Schacht sein sollte.
Johannes Grieser, der schon mit "Für immer ein Mörder - Der Fall Ritter" (2014) einen Film mit DDR-Bezug gedreht hat, inszeniert "Böse Wetter" als Familiendrama mit Krimi- und Thriller-Elementen. Die Szenen unter Tage sind quasi automatisch interessant; ein Rumpeln genügt, um die Spannung umgehend in die Höhe zu treiben, weshalb die gelegentlichen Zeitlupeneffekte fast zuviel des Guten sind. Wenn der kleine Leonard und seine junge Mutter in den Albträumen des Geophysikers scheinbar von Wölfen gehetzt durch den Wald fliehen, wird das Werk dank des Zusammenspiels aus Schnitt, Musik und Bildgestaltung kurzzeitig gar zum Horrorfilm. Auch in vielen anderen Szenen hat Kameramann Anton Klima dafür gesorgt, dass der Film volle Konzentration fordert: Die Beleuchtung ist nicht nur im Bergwerk oft derart sparsam, dass selbst die Bezeichnung "halbdunkel" viel zu hell wäre.