Davon profitiert vor allem Oliver Wnuk, der auch in der zwölften Episode, "Sievers und die schlaflosen Nächte", die besten Momente hat. Allerdings funktioniert das Konstrukt nur, weil er ähnlich wie ein Torjäger Teil eines eingespielten Teams ist – und weil die Comedy-Einlagen nie wichtiger werden als die Krimiebene, selbst wenn die Handlung zunächst nicht weiter aufregend zu sein scheint: Eines Morgens wird ein Pilot und Geschäftsführer einer privaten Sylter Flugfirma tot neben seinem Auto gefunden. Da seine Wertsachen fehlen, deutet zunächst alles auf Raubmord, aber dann drängen sich doch zwei Verdächtige auf: Jens Hansen, das Opfer, hatte ein Verhältnis mit der Frau seines Partners Tim Claasen (Florian Bartholomäi), aber der ungleich vielversprechendere Kandidat ist Fährekapitän Peer Wilders (Peter Benedict). Dessen Frau ist vor einem Jahr bei einem Flugunfall gestorben, an dem Hansen, angeblich betrunken, beteiligt war; und der Mord ereignete sich just an ihrem Todestag.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Zu einem rundum guten Krimi wird der Film, weil Cantz und Hinter die Ermittlungen clever mit der persönlichen Ebene von Carl Sievers (Peter Heinrich Brix) verbinden und weil Anno Saul offenbar einen guten Draht zu seinem Ensemble hat: "Sievers und die schlaflosen Nächte" ist bereits seine sechste Regie für die Reihe. Beim Mordopfer handelt es sich ausgerechnet um den Sohn von Sievers’ neuer Vermieterin, Greta Hansen (Marie Anne Fliegel), weshalb der Hauptkommissar am Morgen nach dem Mord vergeblich wartet: Jens sollte ihm die Schlüssel übergeben. Einziehen kann er trotzdem noch, allerdings nur mit leichtem Gepäck, weil sich Sievers nach wie vor nicht restlos auf Sylt eingelassen hat; das Hansen-Haus ist noch so eingerichtet, wie es die mittlerweile in einem Heim lebende Greta hinterlassen hat. Allerdings wird die Freude des ruhesuchenden Sievers über das neue Domizil erheblich getrübt: Nacht für Nacht scheint ein offenbar gestörter Hahn den Sonnenaufgang herbeikrähen zu wollen. Allerdings gibt es in der Nachbarschaft des ohnehin sehr einsam gelegenen Hauses gar keine Hühner. Die Erklärung für dieses Mysterium, das unmittelbar mit der Lösung für den Mord zusammenhängt, ist derart verblüffend und doch einleuchtend, dass sich der Verdacht aufdrängt: Die erste Idee zu diesem Drehbuch war das Krähen in der Nacht.
Auch handwerklich liegt der Film überm allgemeinen Krimischnitt. Wedigo von Schultzendorff gehört hierzulande ohnehin zu den erfahrensten Kameraleuten; Bilder von schönen Sonnenaufgängen oder einem Regenbogen waren vermutlich seine leichtesten Übungen. Die Musik (Christoph Zirngibl) ist ebenfalls richtig gut. Letztlich sind es jedoch die drei Hauptdarsteller und ihre Dialoge, die "Sievers und die schlaflosen Nächte" zu einem großen Vergnügen machen. Wenn Feldmann nicht gerade mit einem Staubsauger Tango tanzt, werden Wnuks Scherze meist erst dann richtig witzig, weil Brix sie als sein Chef stoisch an sich abprallen lässt. Wirklich beeindruckt ist Sievers allerdings, als der Mitarbeiter den verdächtigen Kapitän mit Hilfe eines faszinierenden Rechenexempels belastet. Der Auftritt ist noch eindrucksvoller, wenn man weiß, dass Wnuk einst das Gegenteil eines begabten Mathematikschülers war; und am Ende ist völlig in Vergessenheit geraten, dass der Staubsauger bloß ein geschickter Vorwand war, um die Szene überhaupt einzuleiten.
Da Brix mit seinen gelegentlichen Pointen in erster Linie deshalb punktet, weil sie so selten sind, ist die Dritte im Bunde umso wichtiger: Ina Behrendsen (Julia Brendler) pflegt die kleinen Seitenhiebe des Kollegen Feldmann mit ausgewählten Bosheiten zu bestrafen. Wunderbar ausgedacht und noch besser inszeniert und gespielt ist die Retourkutsche, nachdem Feldmann sie in Claasens kleines Flugzeug genötigt hat: Er freut sich wie ein kleines Kind, sie sich eher nach innen. Zum Ausgleich schleppt sie ihn auf die Fähre, weil sie überzeugt ist, dass die Sekretärin (Hanna Plaß) der Flugfirma was im Schilde führt; plötzlich wird der großmäulige Feldmann ganz kleinlaut. Diese Exkurse stehen jedoch stets im Dienst der Handlung.
Die Spannung mag sich in Grenzen halten, aber das gehört zum Markenzeichen: "Nord Nord Mord" ist klassische Krimi-Unterhaltung. Natürlich gibt es die eine oder andere Szene, in denen vor allem die Musik für ein bisschen Nervenkitzel sorgt, doch ansonsten liegt der Reiz der Krimiebene tatsächlich in der völlig offenen Frage, wer den Piloten auf dem Gewissen hat. Während die Auflösung anderswo mitunter wirkt, als hätten Autoren und Regisseure darum gewürfelt, welcher der vielen Verdächtigen denn nun den Mord begangen hat, ist sie hier völlig schlüssig. Und nicht nur das: Cantz und Hinter dürfen am Schluss sogar noch ganz plausibel eine weitere Leiche aus dem Hut zaubern.