Am 11. September 1570 starb der württembergische Reformator Johannes Brenz in Stuttgart. Wie er es sich gewünscht hatte, wurde er unter der Kanzel der Stiftskirche beerdigt. Zu Lebzeiten soll er gewarnt haben, sollte ein Prediger nach ihm von der Stiftskirchenkanzel die "falsche" Lehre vertreten, so werde er aus dem Grab rufen: "Du lügst."
Den 1499 in Weil der Stadt geborenen Johannes Brenz nennt Landesbischof Frank Otfried July den wichtigsten lutherischen Theologen im Südwesten. Der "württembergische Kirchenvater" habe seiner Landeskirche ihr eigenes Gewicht gegeben. July verweist auch darauf, dass Bildung auf allen Ebenen nach der Überzeugung von Brenz "Quelle des inneren und äußeren Friedens einer Gesellschaft" ist.
Brenz habe systematisch theologische und organisatorische Grundstrukturen der Landeskirche gelegt, resümierte der frühere Stuttgarter Prälat Martin Klumpp. Neben der Neuordnung der Kirchenverfassung wirkte Brenz auch in Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft und Sozialwesen. Klumpp hebt an Brenz "enormen Fleiß, Natürlichkeit, salomonische Weisheit und Toleranz" hervor.
"Brenzscher Katechismus" mit Einfluss
Der verstorbene Brenzexperte Christoph Weismann hat darauf verwiesen, dass der "Brenzsche Katechismus" in Altwürttemberg über Jahrhunderte neben Bibel und Gesangbuch der wichtigste religiöse Text war, in Kirche und Bildungswesen ebenso verankert wie im Alltagsglauben der Bevölkerung. Dazu trug die "geniale Fassung" der 1535 von Brenz geschaffenen kurzen und präzisen "Fragstücke des christlichen Glaubens für die Jugend" bei, erläuterte der Theologe.
Damit jedermann selbst die Bibel lesen konnte, setzte Brenz sich überall für den Aufbau eines allgemeinen Schulwesens ein. Er zeigte dabei wie in vielen anderen Bereichen Menschenkenntnis und Wirklichkeitssinn. Das Lernen verglich er mit einem Trichter: Wenn man zu viel auf einmal hineingieße, rinne vieles daneben, anstatt in die Flasche zu gelangen.
Der Universität Tübingen verschaffte Brenz mit einer Reform innerhalb weniger Monate den Rang einer großen Hochschule in Europa. Die beste Wehr einer Stadt seien nicht dicke, teure Mauern, sondern eine durch Bildung gestärkte Bürgerschaft, war seine Überzeugung.
Bescheidenheit, Menschlichkeit, Korrektheit
Der frühere Heilbronner Prälat und Autor Paul Dieterich sagt über Brenz, dieser sei "in seiner Bescheidenheit, Menschlichkeit, Korrektheit, Bildung und Klugheit, ohne dies gewollt zu haben, der Prototyp des typischen Württembergers" gewesen. Seit der Heidelberger Disputation von 1518 war Brenz mit Martin Luther befreundet. Von da an hat er Luthers reformatorische Lehre zunächst für Schwäbisch Hall und später auch für das Herzogtum Württemberg in Kirchen- und Lebenspraxis umgesetzt.
Während er persönlich immer auf Ausgleich bedacht war - etwa gegen Ende des Bauernkriegs mit seiner Schrift "Von der Milderung der Fürsten" wohl vielen Bauern das Leben gerettet hat - traf ihn der Lauf der Geschichte hart. So musste er an seinem 49. Geburtstag aus Schwäbisch Hall fliehen vor spanischen Truppen, die angeheuert wurden, um in den evangelischen Regionen den "alten" Glauben zurück an die Macht zu bringen. Vier Jahre war Brenz auf der Flucht. Seine erste Frau starb unterdessen.
Stiftsprediger und Reformator in Stuttgart
Dieses bewegte Leben nimmt das 2017 uraufgeführte Bühnendrama "Brenz 1548" von Andreas Gäßler auf. Der Autor sieht in dem Theologen eine Persönlichkeit mit Vorbildcharakter bis heute: "Von jungen Jahren an wohlüberlegt ausgleichend, ein Mahner für Toleranz und ein Gegner von Gewalt."
Am Ende der Fluchtjahre holte Herzog Christoph von Württemberg Brenz als Stiftsprediger und Reformator nach Stuttgart. Von dort aus prägte er durch seine Kontakte weit über die Region hinaus die Kirchen auch in Brandenburg, in Baden und der Pfalz, im Herzogtum Jülich-Kleve-Berg, in Braunschweig-Wolfenbüttel und in Nürnberg.
Als Brenz 1570 mit 71 Jahren starb, hinterließ er neben einer geordneten Landeskirche auch eine große Schar Kinder und Enkel aus zwei Ehen. Unter seinen Nachfahren sind Theologen, Professoren, Ärzte und Juristen, etwa Johann Albrecht Bengel, Karl Gerok, der Philosoph Hegel und Dichter wie Uhland, Hauff, Hesse und Brecht bis hin zu Patrick Süßkind. Auch die Familien Bonhoeffer, von Weizsäcker und von Dohnanyi sind Nachfahren des württembergischen Reformators.