Halle-Prozess: Überlebende Juden aus Synagoge als Zeugen vor Gericht

Halle-Prozess: Überlebende Juden aus Synagoge als Zeugen vor Gericht
Mehrere Zeugen, die den Anschlag am 9. Oktober 2019 überlebten, berichteten vor Gericht, wie sie den Tag erlebten. Eine jüdische Gruppe war extra für Jom Kippur nach Halle gereist. Von Seiten der Polizei hätten sie sich mehr Verständnis gewünscht.

Magdeburg (epd). Gemeinsam wollten sie Jom Kippur feiern, zusammen in der Synagoge in Halle beten, doch sie wurden Zeugen eines der schlimmsten antisemitischen Attentate der deutschen Nachkriegsgeschichte. Mit emotionalen und bedrückenden Worten schilderten mehrere Juden, die diesen Anschlag überlebten, am Dienstag vor dem Oberlandesgericht Naumburg die Ereignisse am 9. Oktober 2019. Zugleich blickten sie aber auch in die Zukunft: "Jüdisches Leben wird wachsen. Ich habe keine Angst. Wir sind laut und werden gehört", sagte ein 33 Jahre alter Rabbiner vor Gericht in Magdeburg. Mehrfach gab es sogar Applaus aus den Reihen der Nebenkläger und des Publikums, was bei Gerichtsprozessen eher nicht üblich ist.

Der Rabbiner war für Jom Kippur mit seiner Frau und seiner 15 Monate alten Tochter extra aus Berlin nach Halle angereist. Er war Teil einer 20-köpfigen Gruppe, die nicht in einer vollen Synagoge in der Großstadt, sondern außerhalb feiern wollte, auch um eine kleinere Gemeinde zu unterstützen. Eine 30-Jährige berichtete von einem lauten Knall, der während des Gebetes zu hören gewesen sei. Nach einem zweiten Knall habe es Aufregung gegeben, einige Männer hätten am Eingang den Monitor beobachtet, dann habe jemand gerufen: "Lauft, lauft, schnell."

Es hieß, jemand würde auf die Synagoge schießen. Die Zeugin sagte: "Ich konnte mir das nicht wirklich vorstellen." Es sei ihr abstrus vorgekommen. Sie beschrieb, dass sie noch lange in der Synagoge waren. Sie hätte erwartet, dass wenigstens ein Polizist zur Kommunikation in die Synagoge kommen würde. Ähnliches berichtete auch der Rabbiner: Er hätte von Seiten der Polizei mehr Verständnis erwartet. So hätten sie später sehr lange im Bus gesessen, ungeschützt den Kameras der Presse ausgesetzt, es habe Diskussionen um die Mitnahme des koscheren Essens gegeben, und eine katholische Nonne sei als Seelsorgerin geschickt worden. Der 33-Jährige fügte hinzu, er werde für den Rest seines Lebens an die beiden Mordopfer denken, und appellierte, dass alle die Verantwortung für eine bessere Welt trügen.

Die 30-jährige Zeugin berichtete von Schuldgefühlen, die sie plagten: "Ich komme nicht darüber hinweg, dass zwei Menschen an meiner Stelle tot sind." Sie seien einfach am falschen Ort gewesen. Eine weitere Zeugin, eine 32-jährige in Berlin lebende Amerikanerin, war kurz vor dem Anschlag für einen Spaziergang aus der Synagoge gegangen. Ein Sicherheitsmann habe die Tür hinter ihr geschlossen. Die Zeugin, deren Großvater den Holocaust überlebte, sagte, sie habe sich sicher gefühlt. Die Synagoge sei ein sicherer Ort für sie gewesen. Auf einer Parkbank sitzend habe sie laute Geräusche wahrgenommen, dann sei es still gewesen. Als sie zurückkam, war bereits Polizei an der Synagoge, wie sie schilderte. Der Attentäter habe sich mit den Falschen angelegt. Für sie ende es heute hier, sagte sie.

Stephan B. hatte am 9. Oktober 2019 einen Anschlag auf die Synagoge verübt, zwei Menschen erschossen und weitere verletzt. Die Bundesanwaltschaft hat ihn wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in mehreren Fällen sowie weiteren Straftaten angeklagt. Mit Sprengsätzen und Schusswaffen wollte er in die abgeschlossene Synagoge gelangen, um möglichst viele Juden zu töten. Zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur hielten sich dort 52 Gläubige auf.