Für "Schwarzach 23 und das mörderische Ich" gilt das erst recht: Die vierte Episode ist ungewohnt düster. Auch der Tonfall ist über weite Strecken ein anderer, denn Franz Germinger (Maximilian Brückner) hat den gesamten Film hindurch ausgesprochen schlechte Laune – und das nicht nur, weil er auf dem Weg zum Kurzurlaub in den Bergen kehrt machen muss: In einem Münchener Vorortbus sitzt ein toter Autohausbesitzer mit einer vermeintlichen Bombe im Schoß. Durch Zufall kommt der Hauptkommissar auf diese Weise einem Drogenschmuggel in großem Stil auf die Spur; da kann er noch nicht ahnen, dass er sich auf einen Tanz mit dem Teufel einlässt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Schwarzach 23" hat sich vor fünf Jahren durch eine ganz besondere Erzählweise hervorgetan: Die Geschichten waren durchsetzt mit skurrilen Elementen, zumal Germinger eine Art zweites Gesicht hat; seine Erscheinungen sorgten regelmäßig dafür, dass er die Fälle anders sah, als sie schienen. Ein besonderer Charme der von Drehbuchautor Christian Jeltsch und Produzent Andreas Schneppe entwickelten Reihe lag zudem im Zitatenschatz. Jeltsch und Regisseur Matthias Tiefenbacher, der alle Episoden inszeniert hat, haben dieses spezielle Element allerdings immer stärker reduziert. Erfreute der Auftakt der Reihe ("…und die Hand des Todes") durch Western-Zitate und der letzte Film ("… und der Schädel des Saatans") durch einige Verbeugungen vor Alfred Hitchcock, so ist "Schwarzach 23 und das mörderische Ich" über weite Strecken Krimi pur; wäre da nicht Germingers Familie.
Während die Ausflüge ins Privatleben anderswo oft genug wie Fremdkörper wirken und von der eigentlichen Geschichte ablenken, hat sich "Schwarzach 23" stets durch eine überzeugende Verknüpfung dieser Ebenen ausgezeichnet: Mutter Germinger hat im letzten Film den Bösewicht überfahren und musste vorübergehend ins Gefängnis, kommt aber auf Bewährung wieder frei; und weil sich Franz Germinger senior (Friedrich von Thun) mächtig ins Zeug legt, kann er sie im Wettbewerb mit seinem Nebenbuhler Obermaier (Jockel Tschiersch) zurückgewinnen.
Mit dem Handlungskern hat das nicht viel zu tun, sieht man davon ab, dass Obermaier zum Team von Germinger junior gehört und den Mord im Bus mit Hilfe von Franz senior aufklärt. Das ist allerdings auch nicht allzu schwer: Für Krimi-Fans macht sich der Geschäfts- und Lebenspartner des Opfers schon allein durch sein seidenes Halstuch verdächtig. Arnd Klawitter holt dennoch nicht zuletzt dank der originellen Verkaufsmethoden des Mannes ziemlich viel aus dieser eher kleinen Rolle raus. Derweil hat Germinger den Auftragsmörder des Autohändlers mit Hilfe eines etwas anstrengenden Informanten (Leonard Kunz) längst gefunden und außerdem festgestellt, dass der Tote im Bus bloß ein Kollateralschaden ist. Seinen Reiz bezieht der Film aus einer ganz anderen Frage: Wer ist der finstere Russe, der dem Kommissar wie ein Zwilling gleicht und ihn auf Schritt und Tritt folgt?
Maximilian Brückner hat sichtlich Spaß daran, seinem Helden den sinistren Gegenentwurf eines eiskalten Killers gegenüberzustellen; die Musik unterlegt die Auftritte des Mannes mit einer passenden Aura des Bösen. Nicht minder hörenswert ist der akustische Rahmen eines russischen Familienfestes, bei dem Ausschnitte aus "Schwanensee" vorgeführt werden; geschickt integrieren Biber Gullatz und Andreas Schäfer das berühmte Leitmotiv aus Tschaikowskis Ballett fortan in ihre Komposition. Die Gefühlskälte von Germingers Gegenspieler verbietet es auch, die Szenen mit dem Doppelgänger witzig aufzulösen; andeutungsweise komisch wird es nur einmal, als der Hauptkommissar zur Verblüffung seiner Kollegen zweimal einen Tatort verlässt.
Um dem Markenkern der Reihe nicht komplett untreu zu werden, hat sich Jeltsch für Germingers Schwester und Mitarbeiterin Anna (Marlene Morreis) eine Romanze ausgedacht: Das Team hat einen neuen Kollegen mit pakistanischen Wurzeln, Sharif (Serkan Kaya), der Anna auf der Stelle verfällt und ihr fortan auf eine Weise den Hof macht, die an Belästigung grenzen würde, wenn er nicht so charmant wäre. Die entsprechenden Szenen sind romantische Komödie in Reinkultur; als Anna den attraktiven Kollegen küsst, um sich und ihm zu beweisen, dass sie immun gegen seine Schmeicheleien ist, geht der Kuss prompt nach hinten los. Nicht neu, aber sympathisch ist auch die Idee, Sharif zu jeder Lebenslage das passende pakistanische Sprichwort aufsagen zu lassen; selbst wenn er eigentlich aus Salzgitter kommt.
Die verliebten Verbalscharmützel sind ein heiterer Ausgleich zu den Widrigkeiten, mit denen sich Germinger junior auseinandersetzen muss: Erst hat er eine Vision seines eigenen Todes, dann kommt er einer Lebenslüge auf die Spur und schließlich muss er sich dem Zweikampf mit seinem mörderischen Titel-Ich stellen. Wie das Finale ausgeht, nimmt der Prolog vorweg; allem Anschein jedenfalls. Der Schluss schreit geradezu nach Fortsetzung, aber das Ende bleibt offen: Das ZDF stellt die Reihe mit dieser Episode ein.