Auch brillante Denker glauben an Verschwörungen

Buch von Religionswissenschaftler Michael Blume über Verschwörungstheoretiker
©Getty Images/Matt Carr
Verschwörungsmythen sprechen nicht nur dumme Menschen an. Corona-Leugner, neue Antisemiten, QAnon-Bewegung - sie alle finden sich in dem Buch von Religionswissenschaftler Michael Blume, das Kennzeichen ihrer Mythen erklärt und Vorschläge macht, wie man darauf reagieren soll.
Auch brillante Denker glauben an Verschwörungen
Ein Religionswissenschaftler erklärt die Anfälligkeit für Mythen
Glauben nur Doofe an Verschwörungsmythen? Keineswegs. Der Religionswissenschaftler Michael Blume erklärt, warum die Anfälligkeit für Mythen zur menschlichen DNA gehört. Und was man dagegen tun kann.
20.08.2020
epd
Marcus Mockler

Bücher haben in der Regel eine Vorlaufzeit von mindestens einem halben Jahr. Michael Blumes Werk über Verschwörungsmythen spricht dagegen taufrisch in die aktuelle gesellschaftliche Situation: Corona-Leugner, neue Antisemiten, QAnon-Bewegung - sie alle finden sich auf den 160 Seiten dieses populärwissenschaftlichen Buchs. Es erklärt Kennzeichen ihrer Mythen und macht Vorschläge, wie man auf ihre Vertreter reagieren soll.

Der Religionswissenschaftler Michael Blume.

Einen Zahn zieht der Religionswissenschaftler Blume, der auch Antisemitismusbeauftragter der baden-württembergischen Landesregierung ist, den Lesern seines Buches ("Verschwörungsmythen - woher sie kommen, was sie anrichten, wie wir ihnen begegnen können") gleich zu Beginn: Verschwörungsmythen sprechen nicht nur dumme Menschen an. Ausführlich zeigt der Autor anhand geistiger Titanen wie dem Philosophen Martin Heidegger, dem evangelischen Theologen Gerhard Kittel und dem Rechtswissenschaftler Carl Schmitt, dass auch die intellektuelle Elite für plumpe Welterklärungsmodelle empfänglich ist. Bei den genannten Universitätsgelehrten war es in der NS-Zeit der Satz "Die Juden sind an allem schuld", der auf fruchtbaren Boden fiel.

Blume, der sich intensiv mit der Evolutionsbiologie befasst hat, erklärt diese Empfänglichkeit für vereinfachende oder verfälschende Erklärungsmuster mit der Entwicklung des menschlichen Gehirns. Es sei seit Jahrtausenden auf Gefahrenabwehr getrimmt, um die Überlebenschancen zu verbessern. In einem Satz: "Es ist sehr viel günstiger, 20-mal einen Busch für einen Bären zu halten als ein einziges Mal einen Bären für einen Busch." Deshalb erwarte der Mensch überall das Böse.

Und so verbreiten sich die verrücktesten Geschichten - ob in rechtsextremistischen Kreisen, beim "Islamischen Staat" oder bei Impfgegnern. Da ist von unterirdischen Lagern die Rede, in die Kinder verschleppt werden, aus denen der Wirkstoff Adrenochrom gewonnen werden soll. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sei eigentlich vom israelischen Geheimdienst Mossad ins Amt gehievt worden. Der Holocaust gehe in Wahrheit auf das Konto einer bekannten jüdischen Familie.

Verzerrten Ausschnitt aus der Realität

Der Autor sieht dahinter eine Denktradition, die bis auf Platons Höhlengleichnis zurückgeht. Demnach sehen Menschen in ihrer Begrenztheit wie Höhlenbewohner nur Schatten an der Wand, also lediglich einen kleinen und verzerrten Ausschnitt aus der Realität. Aus dieser Dunkelheit kann dieser Denkweise zufolge nur ein starker und wissender Führer herausholen.

Blume bevorzugt dagegen ein Modell, wonach jeder Mensch die Möglichkeit hat, etwas von der Wahrheit zu erkennen. Das Gesamtbild wird besser, je mehr Menschen aus ganz unterschiedlichen Hintergründen daran mitzeichnen. Das helfe etwa in Unternehmen, wenn sich Chefs nicht nur mit Gleichgesinnten umgeben, sondern die Perspektiven Andersdenkender einbeziehen.

Über Gefühle und Ängste sprechen

Wie soll man nun Menschen begegnen, die sich selbst in den Verschwörungssumpf gesetzt haben? Blume nennt nicht die argumentative Auseinandersetzung an erster Stelle. Es könne sich zwar lohnen, solche Leute auf Blogs, Bücher oder Podcasts hinzuweisen, da manche Betroffene in einem Moment des Zweifels doch zur Prüfung ihrer Weltsicht bereit seien. Doch werde in der Regel aus emotionalen Gründen an Verschwörungsmythen geglaubt - und deshalb sei es besser, mit seinem Gegenüber zuerst über dessen Gefühle und Ängste zu sprechen.

Eine Prognose gibt der Autor zur US-Präsidentenwahl ab: Trump habe den Kampf bereits verloren. Blume begründet das mit der Szene, als sich der Präsident am 31. Mai aus Sicherheitsgründen für zehn Stunden in seinem Bunker verstecken musste und das Licht am Weißen Haus vorübergehend erlosch. "Was für ein schreckliches Bild für einen Anführer, der doch vorgab, das Volk ins Licht zu führen", schreibt Blume. Am 3. November wird sich zeigen, ob der baden-württembergische Verschwörungsexperte mit seiner Analyse recht behält.