Seit im Mai der Afroamerikaner George Floyd durch Polizeigewalt starb, haben auch viele Pastoren weißer Kirchengemeinden in den USA zum Kampf gegen Rassismus aufgerufen. Weiße Pastoren nahmen an den "Black Lives Matter"-Protesten teil. Viele wollen sich auf die Seite der Diskriminierten und sozial Benachteiligten stellen. Doch der Blick in die Geschichte weiß geprägter Kirchen in den USA zeigt, oftmals waren sie auch an Unterdrückung und Diskriminierung beteiligt.
Ein Schlaglicht auf diese Episode wirft das neue Buch des amerikanischen Religionsexperten Robert Jones. Sein Buch mit dem Titel "White Too Long: The Legacy of White Supremacy in American Christianity" (deutsch: Zu lange weiß: Das Erbe des weißen Herrschaftsdenkens im amerikanischen Christentum) erhält schon vor dem Erscheinungstermin am Dienstag viel Aufmerksamkeit. Es problematisiert die Rolle der protestantischen Kirchen vor allem im Süden der USA und legt damit den Finger in die Wunde.
Als eine in den USA "dominante" gesellschaftliche Kraft seien protestantische weiße Kirchen "verantwortlich für den Aufbau und den Erhalt der weißen Vorherrschaft gewesen, schreibt Jones. Der 52-Jährige hat Theologie studiert und ist Direktor des "Public Religion Research Institute (PRRI)". Das PRRI ist nach eigenen Worten eine gemeinnützige, unparteiische Organisation, die unabhängige Forschung an der Schnittstelle von Religion, Kultur und Politik betreibt.
Als die Sklaverei noch biblisch begründet wurde
Die Arbeit am Buch sei eine persönliche Reise gewesen, sagt Jones. Er sei als Weißer im Süden der USA in einer Kirche aufgewachsen, die mit der Lehre entstanden sei, dass die Versklavung von Menschen mit der Botschaft des Evangeliums koexistieren könne. Die Kirche, in der er sozialisiert wurde, ist der "Südliche Baptistenverband" - die größte protestantische US-Kirche mit mehrheitlich weißen Mitgliedern. Sie wurde 1845 im Streit über die Sklaverei gegründet. Die Baptisten in den Südstaaten der USA betonten damals, Sklaverei sei biblisch begründet. Erst nach und nach habe er diese Geschichte verstanden. Und damit auch die teilweise Amnesie mancher Christen und ihre Auswirkungen auf die gegenwärtige Realität.
Doch es geht nicht nur um die Baptisten. Für weiße Christen sei es offenbar "bequem" zu verkünden, dass es beim Glauben um persönliche Errettung gehe und nicht um soziale Gerechtigkeit, sagte Jones kürzlich dem Fernsehsender CNN.
Bei einer Erhebung des amerikanischen Umfrage-Instituts Pew Research Center im Februar erklärten 64 Prozent der nicht-evangelikalen weißen Protestanten, es sei nicht wichtig oder unangebracht, dass Pastoren sich zu "politischen Themen wie Einwanderung und Rassismus" äußern. Dagegen halten 62 Prozent der schwarzen Protestanten laut derselben Umfrage diese Themen für bedeutend.
Weiße und schwarze Gläubige bei Sonntagsgottesdienst unter sich
Nach wie vor bleiben weiße und schwarze Gläubige beim Sonntagsgottesdienst unter sich. Jones' Forschungsinstitut hat auch Differenzen in der Haltung zu sozialen Themen festgestellt. So verneinen zum Beispiel rund 67 Prozent der weißen Evangelikalen und rund 62 Prozent der weißen gemäßigten Protestanten, dass Sklaverei und Diskriminierung noch heute negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der schwarzen Bevölkerung haben. Mehr als zwei Drittel der schwarzen Protestanten sehen darin einen Zusammenhang.
Nach wie vor gehören weiße Protestanten, darunter viele Evangelikale, zur Gruppe der Kernwähler des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, der auch am vergangenen Wochenende wieder seine Sicherheitskräfte gegen die "Black Lives Matter"-Demonstranten losschickte. Trotz Trumps feindseliger Haltung erklärte der Präsident des Southern Baptist Theological Seminary in Louisville (Kentucky), Albert Mohler, kürzlich in einer Videoansprache, er werde bei der Präsidentschaftswahl im November für Trump stimmen. Ausschlaggebend sei dessen Haltung gegen Abtreibung.