"Sanft schläft der Tod" ist ein Thriller aus der Feder von Holger Karsten Schmidt, und deshalb ist den scheinbar harmlosen Bildern zu Beginn selbstredend nicht zu trauen. Werte, Gefühle oder schlicht die Ordnung sind in Schmidts Geschichten meist Ideale, die einem klaren dramaturgischen Zweck dienen: Sie werden bedroht und müssen verteidigt werden; und wer könnte eine größere Bedrohung sein als ein Mann, der von Matthias Brandt verkörpert wird.
Zu Beginn seiner Karriere war der Schauspieler auf gebrochene Charaktere geradezu abonniert, mittlerweile spielt er den Schurken nur noch in ausgesuchten Geschichten; das aber auf albtraumhafte Weise. Selbstredend geht von dem Entführer Bernd Peters eine morbide Faszination aus, zumal Schmidt die Beweggründe des Täters lange im Unklaren lässt. Tatsache ist zunächst nur, dass in den vergangenen dreißig Jahren bereits mehrere Ehepaare ein ähnliches Schicksal durchlitten haben wie Frank und Anja Mendt (Fabian Busch, Marleen Lohse). Diese Information verpackt der dreifache Grimme-Preisträger Schmidt ("Mörder auf Amrum", "Mord in Eberswalde", "Das weiße Kaninchen") in einer Zweithandlung, die genug Stoff für einen eigenen Film enthält: Herbert Winter (Manfred Zapatka), ein ehemaliger Stasi-Ermittler, war schon in der DDR hinter Peters her. Durch den Mauerfall hat sich die Spur verloren, aber dass Winter ihr nicht weiter folgen konnte, hatte andere Gründe: Sein Sohn Frank hat ihn nach der Wende angezeigt, weil Winter den eigenen Bruder denunziert hatte. Anschließend hat Frank den Nachnamen des Vaters abgelegt und den Mädchennamen der Mutter angenommen; seither heißt er Mendt. Der Film dauert völlig zu Recht 130 Minuten; diese Zeit braucht er auch.
Die emotionale Komplexität verleiht der Geschichte eine derart große innere Spannung, dass es sich Marco Kreuzpaintner leisten kann, auf typische Thriller-Elemente weitgehend zu verzichten. Dafür zieht er dann im Finale alle Register, selbstredend inklusive der Devise "Der Böse steht noch einmal auf" und einer langen ungeschnittenen Handkamerasequenz. Für den Regisseur war dieser 2016 erstmals ausgestrahlte Film nach der Jugendbuchverfilmung "Krabat" und der Beziehungskomödie "Coming In" ein eher ungewöhnlicher Stoff. Zuvor hatte er allerdings bereits einen sehenswerten "Polizeiruf" aus München gedreht ("Und vergib uns unsere Schuld"), ebenfalls mit Brandt, der den Entführer auf ganz eigentümliche, mühsam beherrschte Weise verkörpert, als habe er sich neben dem körperlichen Korsett zusätzlich ein geistiges verordnet. Interessant ist auch seine Kleidung, die derart unauffällig ist, dass sie wie eine Alltagstarnung wirkt. Eine besondere Faszination liegt im Zusammenspiel von Brandt und Marleen Lohse, was vor allem deshalb bemerkenswert ist, weil die beiden vor der Kamera kaum aufeinander treffen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Abgesehen von den ausnahmslos ausgezeichneten darstellerischen Leistungen lebt "Sanft schläft der Tod" neben der Angst der Eltern um ihre Kinder über weite Strecken davon, wie die Figuren miteinander verstrickt sind. Das gilt nicht nur für Vater und Sohn, die schon lange keinerlei Kontakt mehr haben, sondern auch für Winter und den LKA-Entführungsspezialisten Kempin (Bernhard Schütz). Buch und Regie nutzen zudem die Überlänge, um auch den weiteren Mitgliedern des Ermittlerteams (unter anderem Christina Große und Hannes Wegener) Raum zu geben. Zum Gegenspieler des raffinierten Entführers aber wird mehr und mehr Herbert Winter, zumal Kempin einen entscheidenden Fehler begeht, als er den Kidnapper für einen intuitiven Täter hält. Winters Biografie weist ähnliche Brüche auf wie das Leben von Peters, bei diesem allerdings im Wortsinn; ein weiteres von vielen mit großer Sorgfalt ausgedachten Details, die sich schließlich zu einem schlüssigen Persönlichkeitsbild zusammenfügen. Beinahe zu spät erkennen die Ermittler, dass es dem Zauberer, der Finn und Leila ins "Wunderland" entführt hat, wie er auf einer Notiz mitteilt, gar nicht um die Kinder geht.
"Es gibt nichts Öderes als einen einfach strukturierten Täter", sagt der LKA-Mann, als er die Ermittlungen aufnimmt. Für Drehbücher gilt das gleiche, aber diese Sorge ist bei den Arbeiten von Schmidt grundsätzlich unbegründet. Trotz der grimmigen Geschichte, die in eine sadistische Variation des kaukasischen Kreidekreises mündet, findet sich immer noch Gelegenheit, Spurenelemente von Humor unterzubringen. Dennoch ist nicht der Autor, sondern die Handlung der Star dieses Films; und so soll es ja auch sein.