Mühsamer Neustart in der Tagespflege

Pflegende Angehörige in Coronazeiten
© epd/Lukas Schienke
Urte Schwerdtners Mutter Maja ist schwer an Demenz erkrankt und wird tagsüber in der Tagespflege der Diakonie Goslar betreut. Wohlmöglich verschlechtert sich der Gesundheitszustand der Erkrankten, wenn Therapien coronabedingt ausbleiben und Tagesroutinen wegfallen.
Mühsamer Neustart in der Tagespflege
Die diakonische Tagespflege in Goslar kann endlich wieder Gäste aufnehmen. Mehr als 60 Prozent Auslastung sind jedoch nicht möglich. Nach wochenlanger Schließung gibt es deshalb weiter Probleme.
28.07.2020
epd
Tim Schnelle

Um halb neun fährt Urte Schwerdtner vor der diakonischen Tagespflege in Goslar vor, um ihre demenzkranke Mutter Maja bei den Pflegerinnen abzugeben. Sie hat einen der begehrten Plätze erhalten, die die Tagespflege seit kurzem wieder anbieten kann. "Als Richterin am Amtsgericht kann ich nur sehr begrenzt von zu Hause arbeiten, um mich um meine Mutter zu kümmern", erklärt sie ihr Problem. Ohne die Entlastung wäre sie aufgeschmissen. Denn die Wochen, in denen die Tagespflege aufgrund der Corona-Pandemie für sie geschlossen hatte, hätten sie bereits an die Grenzen ihres Leistungsvermögens gebracht.

Aufwendige Organisation

Wie viele andere Einrichtungen kann auch die Tagespflege in Goslar weiterhin nur 60 Prozent der Kapazitäten ausschöpfen. "Mehr als zwölf Gäste pro Tag sind unter Einhaltung der Abstandsregeln in unseren Räumlichkeiten definitiv nicht machbar", sagt die Leiterin der Einrichtung, Birgit Fuhrmann. Hinzu komme die aufwendige Organisation des Fahrdienstes. Zwar dürfe ihr Fahrer mittlerweile durch eine Sondergenehmigung des Gesundheitsamtes wieder bis zu drei Personen auf einmal einsammeln, allerdings müsse vorher die Körpertemperatur aller Mitfahrer gemessen und das Fahrzeug nach jeder Fahrt gelüftet werden. "Das kostet alles Zeit, so dass mehr als zwei bis drei Fahrten pro Tag für uns nicht drin sind", erklärt Fuhrmann.

Die Grenzen der Belastbarkeit

Daher musste Fuhrmann die Aufnahme weiterer Gäste an die Bedingung knüpfen, dass der Transport von den Angehörigen selber organisiert wird. "Leider führt das dazu, dass teilweise diejenigen, die professionelle Pflege besonders nötig hätten, nicht zu uns kommen können", sagt sie. Darunter litten nicht nur die Betroffenen, sondern auch die pflegenden Angehörigen. "Viele sind völlig am Ende, weil sie sich ohne jegliche Entlastung sieben Tage die Woche um ihre Verwandten kümmern müssen - und das seit Monaten", berichtet die Pflegeleiterin.

Geistig und körperlich abgebaut

Im Zuge der Corona-Pandemie waren im April bundesweit die Tagespflegen für mehrere Wochen geschlossen worden. Lediglich eine Notfallbetreuung für besonders Bedürftige konnte noch stattfinden. Der Großteil der Gäste konnte mancherorts monatelang das Angebot nicht nutzen, was sich laut Experten teilweise dramatisch ausgewirkt hat. "Speziell für demenzkranke Menschen sind Routinen und der Kontakt zu Personen außerhalb des eigenen Haushalts enorm wichtig", erläutert Susanna Saxl von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft in Berlin. Sowohl geistig als auch körperlich hätten viele Pflegebedürftige ohne die täglichen Strukturen abgebaut. Mit nachhaltigen Folgen: "Was einmal an Fähigkeiten verloren geht, ist bei Demenzerkrankten nur sehr schwer wieder aufzubauen", sagt Saxl.

Bei einer möglichen zweiten Corona-Welle dürfe es daher auf keinen Fall zu einer erneuten Schließung der Tagespflege kommen, fordert Dagmar Henseleit, Pflegereferentin der Diakonie in Niedersachsen. "Sollte es zu einem zweiten Lockdown kommen und die Betroffenen noch einmal wochenlang auf sich allein gestellt sein, würden das weder die Angehörigen noch die Pflegebedürftigen überstehen", zeigt sie sich besorgt. Ohnehin werde der Wert der Pflege oft unterschätzt. "Die Politik nimmt die Tagespflege eher als Beschäftigungstherapie von Rentnern wahr und verkennt dabei die medizinische Bedeutung der Angebote", sagt die Referentin.

Lockerung der Abstandsregeln

Darüber hinaus müsse ernsthaft über eine Lockerung der Abstandsregeln nachgedacht werden, fordert Einrichtungsleiterin Fuhrmann. Die Einhaltung der Maskenpflicht und Hygienemaßnahmen sei selbstverständlich und unproblematisch. "Aber wenn weiterhin jederzeit 1,5 Meter Abstand gehalten werden sollen, ist die Aufnahme weiterer Gäste unmöglich", sagt sie. Das könne den betroffenen Angehörigen jedoch nicht noch länger zugemutet werden, für die die Situation schon jetzt kaum mehr tragbar sei.

Urte Schwerdtner weiß die Anstrengungen der Tagespflege zu schätzen. Wie ihre Mutter gehört auch ihr Mann zur Hochrisikogruppe. Als die Einrichtung teilweise wieder öffnen durfte, habe deswegen zuerst die Angst vor einer Infektion im Pflegeheim überwogen. "Aber als ich gesehen habe, wie gründlich hier auf die Hygieneregeln geachtet wird, sind diese Sorgen verschwunden", sagt sie. Seit etwa zwei Wochen ist ihre Mutter wieder von Dienstag bis Freitag in der Tagespflege. Schwerdtner stellt fest: "Seitdem ist sie viel ausgeglichener und ich kann wieder arbeiten, ohne mir den ganzen Tag Sorgen zu machen, in jeder freien Minute nach ihr sehen zu müssen."