Berlin (epd). Den Wäldern in Deutschland geht es schlecht - und nach Ansicht von Experten wird das noch viele Jahre so bleiben. Die Vorstellung, man könne auf einer freien Fläche stabile Mischbestände pflanzen, sei "Unsinn", sagte Michael Müller, Professor für Waldschutz an der Technischen Universität Dresden, am Donnerstag in Berlin. "Die Natur ist uns Menschen nicht besonders zugetan", betonte er. Daher sei es auch eine "träumerische Vorstellung", sie innerhalb kurzer Zeit regeln zu wollen. Ein Waldumbau dauere etwa 50 Jahre, die Bodenerholung 100 Jahre.
In Deutschland ist ein Drittel der Landesfläche (11,4 Millionen Hektar) mit Wald bedeckt. Die häufigsten Baumarten sind Nadelbäume wie Fichte (25 Prozent) und Kiefer (23 Prozent). Erst dann folgen die Laubbäume Buche (16 Prozent) und Eiche (11 Prozent). Die Dürre der vergangenen zwei Jahre hat den Wäldern massiv geschadet. In der Waldzustandserhebung 2019 heißt es, dass im Durchschnitt aller Baumarten "der Kronenzustand noch nie so schlecht" war wie im vergangenen Jahr. Das Bundeslandwirtschaftsministerium geht angesichts der Schäden in den Jahren 2018 und 2019 sowie der erwarteten Schäden für das laufende Jahr davon aus, dass eine Fläche von 245.000 Hektar wiederbewaldet werden muss - das entspricht fast der Fläche des Saarlands.
Müller macht für den dramatischen Zustand der Wälder eine Kombination aus Stürmen, Trockenheit und der Massenvermehrung von Laub- und Nadelfressern verantwortlich, die es so noch nicht gegeben habe. Besonders schädlich seien die großen "Schalenwildbestände" - also etwa Hirsche und Rehe, die mit Vorliebe die Triebe junger Bäume fressen. Dieser Wildbestand betrage derzeit schätzungsweise das zehn bis 20-fache des Bestandes, der von Natur aus in den Wäldern zu finden wäre, sagte der Wissenschaftler.
Wölfe helfen nach Müllers Worten hier nur bedingt. Das russische Sprichwort, wo der Wolf geht, wächst der Wald, gelte nur in speziellen Fällen, wo die Prädatoren die Quelle regulierten. In der Regel sei es umgekehrt: Auf die Frage: Warum sind in Deutschland so viele Wölfe, sei die Antwort: Weil es so viel zu fressen gibt.
Der Wernigeroder Oberbürgermeister Peter Gaffert (parteilos) schilderte die Situation im Harz. Dort sei der Wald inzwischen grau, wo er vor drei Jahren noch grün gewesen sei. Er gehe davon aus, dass es 30 Jahre dauern werde, um die Schäden aus den vergangenen drei Jahre zu beheben.
Der Forst-Professor und Vorsitzende des Programms für die Anerkennung von Waldzertifizierungssystemen (PEFC), Andreas Bitter, wies indes auf die Finanzierungsschwierigkeiten der Forstbetriebe hin. Bislang sei die Waldpflege allein aus Holzerlösen bezahlt worden. Dies funktioniere angesichts zusammengebrochener Holzmärkte nicht mehr. Deshalb müssten die Ökosystemleistungen der Wälder, etwa bei der Bindung von CO2, stärker honoriert werden - zum Beispiel mit öffentlichen Mitteln aus dem Energie- und Klimafonds sowie nur einem Beitrag der Bürgerinnen und Bürger.
Bitter sagte, die nächste Waldgeneration müsse aus Mischbeständen bestehen, um für unterschiedliche Gefahren gewappnet zu sein. Das umfasse klimatolerante einheimische Baumarten, Buchen, Eichen und Tannen aber auch Douglasien oder Roteichen. Vorstellbar seien auch Baumarten, die bislang keine Rolle gespielt hätten - die Libanon-Zeder zum Beispiel.
Müller fügte hinzu, dass bei den fremdländischen Arten jedoch Vorsicht geboten sei. So dürften sie nicht die einheimische Fauna beeinträchtigen. Auch müssten sie die deutschen "Extremwerte" von Tag und Nacht ertragen, "sonst reicht eine Frostnacht, um alles zunichtezumachen".
Als weiteres Problem bei der Waldverjüngung nannten die Wissenschaftler eine "Vergrasung" von Waldflächen. Hier vermehrten sich Mäuse und die seien kaum zu bekämpfen, sagte Müller. Bitter fügte hinzu, Forstleute sagten dazu: "Gras, Maus, Aus."