Rom, New York (epd). Nach Erfolgen im Kampf gegen Unterernährung weltweit steigt die Zahl der Hungernden wieder an. 60 Millionen Menschen mehr als vor fünf Jahren hatten 2019 laut den Vereinten Nationen nicht genug zu essen. Dies geht aus dem Welternährungsbericht hervor, der am Montag in New York und Rom veröffentlicht wurde. Etwa 690 Millionen Menschen und damit knapp neun Prozent der Weltbevölkerung sind demnach unterernährt. In Afrika leidet ein Fünftel der Bevölkerung an Hunger. Sollte der derzeitige Trend anhalten, dürfte die Zahl der Hungernden bis 2030 auf 840 Millionen steigen. Die Corona-Pandemie verschärft die Versorgungslage den UN zufolge massiv.
Der Bericht über die "Lage der Nahrungssicherheit und Ernährung" korrigierte in diesem Jahr aufgrund zusätzlicher Daten aus China die Zahlen der vergangenen Jahre nach unten. Der Trend des seit 2014 langsam aber stetig wachsenden Hungers habe sich dadurch jedoch nicht verändert, teilten die beteiligten UN-Organisationen mit. In diesem Jahr verschlechterten Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie wie Ausgangssperren und die Unterbrechung von Transportwegen die Ernährungslage vieler Menschen. Etwa 130 Millionen Frauen, Männer und Kinder zusätzlich müssten dadurch womöglich hungern, warnen die Autorinnen und Autoren der Studie.
Entwicklungsorganisationen forderten ein Umdenken in der Politik. "Angesichts der dramatischen neuen Zahlen kann es in der Hungerbekämpfung kein 'Weiter so' mehr geben", erklärte die Agrarexpertin von Oxfam, Marita Wiggerthale. Die Bundesregierung müsse sich für existenzsichernde Einkommen und Löhne bei den Produzenten weltweit sowie für Agrarökologie einsetzen. "Die Regierungen tun viel zu wenig, um den Hunger zu bekämpfen." Nur neun Prozent des Corona-Hilfsaufrufs der UN seien bislang finanziert.
"Es ist eine bittere Realität, dass das Menschenrecht auf Nahrung von immer mehr Menschen verletzt wird, obwohl wir mehr als genug Nahrungsmittel produzieren", erklärte der Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Fian, Philipp Mimkes. Das Ziel der Staatengemeinschaft, den Hunger bis 2030 zu besiegen, werde immer unrealistischer.
Laut dem UN-Bericht können sich überdies drei Milliarden Menschen keine gesunde Ernährung leisten. Die meisten von ihnen, 1,9 Milliarden, leben dem Bericht zufolge in Asien, gefolgt von Afrika (965 Millionen). Die Gesundheitskosten unausgewogener Ernährung schätzen die UN-Organisationen auf 1,3 Billionen Dollar bis zum Jahr 2030.
Insgesamt ist Asien mit etwa 380 Millionen Hungernden der Kontinent mit den meisten Menschen, die nicht genug zu essen haben. Am schnellsten steigt die Zahl derer, die Hunger leiden, jedoch in Afrika. Derzeit sind es dem Bericht zufolge 250 Millionen.
Der entwicklungspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Uwe Kekeritz, erklärte, der Welternährungsbericht 2020 belege zum fünften Mal in Folge das Versagen der Weltgemeinschaft. Ursachen für den Hunger seien unter anderen die Klimakrise, gewaltsame Konflikte, Ungleichheit und eine fehlgeleitete Agrar- und Handelspolitik. Deutschland müsse Rüstungsexporte in Krisengebiete stoppen, in der Klimapolitik umsteuern und die kleinbäuerliche und ökologische Landwirtschaft voranbringen.
Der Welternährungsbericht wurde gemeinsam von Welternährungsprogramm (WFP), Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), Kinderhilfsprogramm (Unicef), Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Fonds für Landwirtschaftsentwicklung (Ifad) erstellt. Die Urheber warnen darin überdies vor wachsenden Zahlen an Übergewichtigen in armen ebenso wie in reichen Ländern.
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