Alle klammern sich verzweifelt an unterschiedliche Hoffnungen: Herrmann (Fabian Hinrichs) ist Mitglied der Bundesregierung und überzeugt, mit seiner hochschwangeren Lebensgefährtin (Nora Waldstätten) im quasi letzten Moment noch nach Amerika fliehen zu können. Derweil sind Ärztin Susanne (Christiane Paul), ihr Mann Uli (Mark Waschke) und ihre beiden Kinder mit Hilfe polnischer Schlepper auf dem Weg nach Russland. Baustoffhändler Klaus (Devid Striesow) hofft, die Katastrophe in einem Bunker überleben zu können.
Geradezu genüsslich sorgt das Autorentrio Peter Kocyla, Rafael Parente und Benjamin Seiler dafür, dass diese Pläne durchkreuzt werden. Wie bei einem Experiment konfrontieren sie die Menschen mit immer wieder neuen Hindernissen: Susanne schafft es nicht, auf einen Güterzug aufzuspringen, weshalb auch Tochter Leonie (Lena Klenke) wieder abspringt. Herrmann stellt schockiert fest, dass das US-Visum nur für ihn gilt, weil er und Marion nicht verheiratet sind. Er bettelt, droht, schreit, fleht; vergebens. Als sich die Situation grundlegend verändert hat, sorgt er zwar dafür, dass seine Angehörigen in die Sicherheit eines riesigen Bunkers fliehen können; aber ausgerechnet er muss draußen bleiben. Dafür wird den anderen in einer der spannendsten Szenen der Serie schockartig klar, dass das vermeintliche Refugium eine Todesfalle ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Gerade die Männer stellen sich den Herausforderungen zwar unverdrossen, aber zunehmend verzweifelt. Auf diese Weise entstehen faszinierende Fallstudien völlig unterschiedlicher Charaktere, zumal die Extremsituation dafür sorgt, dass der dünne Firnis der Zivilisation rasch abblättert: Wer nur noch das nackte Leben retten will, hat keine Skrupel, über Leichen zu gehen. Ein weiterer Reiz der Geschichte liegt in der Verknüpfung der verschiedenen Erzählebenen. Zunächst hat es den Anschein, als hätten Michael Krummenacher und "Oscar"-Preisträger Stefan Ruzowitzky ("Die Fälscher") mehrere Filme gedreht, die nun beim Schnitt zu einem verschmelzen, wobei sie in den einzelnen Folgen wie bei einer Doku-Soap von einem Handlungsstrang zum anderen hüpfen; mitunter dauern die Momentaufnahmen tatsächlich nur einige Sekunden.
Erst nach und nach offenbaren sich die Verbindungen. So ist zum Beispiel der von Murathan Muslu mit viel Melancholie versehene Polizist Deniz, der als letzter versucht, Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten, Susannes Geliebter. Er wird mehr und mehr zur tragischen Figur der Geschichte; gut möglich, dass die Autoren beim Entwurf dieser Rolle einige jener jene überlebensgroßen Figuren vor Augen hatten, wie sie Charlton Heston unter anderem in "Planet der Affen" bzw. "Rückkehr zum Planet der Affen" oder "Der Omega-Mann" oder "Erdbeben" gern bis zum bitteren Ende verkörpert hat. Anders als Hestons Helden hat Deniz Humor: Kurz bevor die Welt untergeht, klemmt er noch einen Strafzettel hinter den Scheibenwischer eines Autos. Außerdem sorgt er dafür, dass die Geschichte nicht völlig finster endet.
Weil "8 Tage" quasi mitten drin beginnt, bleiben die Figuren zunächst abstrakt. Die Identifikation resultiert anfangs nicht aus Sympathie, sondern aus Empathie. Eine Ausnahme ist allein Unternehmer Klaus. Devid Striesow verkörpert den Mann zum Auftakt wie einen jener Kinomörder, die ihre Untaten hinter einer harmlosen Fassade verstecken. Nach und nach offenbart er jedoch immer deutlicher den Faschisten, der in ihm geschlummert hat. Auch seine Gewalttaten werden zunehmend hemmungsloser. Weil Nora im Bunker Feuer gelegt hat, um fliehen zu können, braucht Klaus neue Luftfilter. Kurzerhand ermordet er einen widerspenstigen Nachbarn mit dessen Kettensäge; wie in einem Splatterfilm spritzt ihm das Blut ins Gesicht. Die Einstellung mit freier Sicht auf die Gedärme des Opfers hätte sich das Regieduo auch sparen können.
Nicht minder aus dem Rahmen der ansonsten vergleichsweise zurückhaltenden Inszenierung fällt eine Sexorgie. Ungleich fesselnder ist die Serie jedoch, wenn es ums große Ganze geht. Marions Schwester (Alice Dwyer) ist TV-Journalistin und informiert die Öffentlichkeit über einen unerhörten Skandal: Die Lotterie, mit der die angeblich 15 Millionen deutschen Bunkerplätze vergeben werden, ist eine Farce. Angesichts der bürgerkriegsähnlichen Zustände wird das Kriegsrecht verhängt und die Polizei der Bundeswehr unterstellt. Auch wegen solcher Entwürfe ist "8 Tage" eine interessante Ergänzung zu den Katastrophenszenarien aus jüngeren Produktionen wie "Deep Impact" (USA 1998) oder dem amerikanischen TV-Zweiteiler "Last Impact – Der Einschlag" (2008).
Der Aufwand der TV-Serie ist natürlich nicht mit diesen Filmen vergleichbar, weshalb sich das Drehbuch vor allem auf die Zeichnung der Charaktere konzentriert. Die Spannung resultiert wie bei einem Katastrophenfilm aus der Frage, wer das Desaster überleben wird. Trotzdem hat die distanzierte Perspektive von Buch und Regie zur Folge, dass die Protagonisten gewissermaßen zu Probanden werden: als habe sich eine übergeordnete Macht einen sinistren Scherz erlaubt, um zu beobachten, was passiert; wie ein Junge, der auf einen Ameisenhaufen pinkelt. Der ZDF-Zweitsender Neo zeigt die acht Folgen heute ab 22.40 Uhr und morgen ab 22.35 Uhr.