Natürlich muss der Mann im entsprechenden Alter sein, was die Auswahl etwas kompliziert. Schließlich findet der Detektiv einen würdevollen Herrn, der sich über die Abwechslung in seinem überschaubaren Dasein freut; daheim erinnert ihn alles an seine vor wenigen Monaten verstorbene Frau.
"Der Maulwurf" ist ein Film aus Chile, aber die Geschichte ist universell; kein Wunder, dass Regisseurin Maite Alberdi viele internationale Geldgeber gefunden hat, darunter auch den SWR. Die Übersetzung der Dialoge erfolgt als "voice over": Ähnlich wie in Dokumentationen ist hinter den deutschen Stimmen noch der Originalton zu hören, was im Zweifelsfall deutlich besser klingt als eine klassische Synchronisation, die bei TV-Produktionen sehr oft deutlich weniger gut gelingt als bei Kinofilmen. Außerdem ist "voice over" allemal besser als Untertitel, denn es wird ziemlich viel geredet. Die akustische Ebene wird ohnehin recht bald zur Nebensache, weil sich der 83-jährige Sergio als Glücksfall entpuppt: Der kontaktfreudige Rentner ist ein Charmeur alter Schule und wird als Witwer prompt von den vielen alten Damen im Heim umschwärmt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Film ist derart unterhaltsam, dass sich sogar verschmerzen ließe, wenn die Sache mit dem Diebstahl bloß eine konstruierte Rahmenhandlung sein sollte. Sergio hat sichtlich Spaß an seiner Mission, selbst wenn er seinem Auftraggeber beim täglichen Bericht keine Belege für den Anfangsverdacht liefern kann. Natürlich sind viele der alten Damen einsam, weil sie von ihren Angehörigen vernachlässigt werden. Eine ansonsten allerdings sehr lebhafte Frau wartet jeden Tag darauf, dass sie endlich von ihrer Mutter abgeholt wird. Damit sie sich nicht völlig von der Welt vergessen fühlt, führen die Pflegerinnen regelmäßig Telefongespräche mit ihr, in der sie sich als ihre Mutter ausgeben. Diese Frau, die außerdem ständig ihre Schultasche sucht, könnte auch hinter dem vermeintlichen Diebstahl stecken, denn sie hat ein in jeder Hinsicht einnehmendes Wesen. Ungleich berührender sind allerdings Sergios Gespräche mit einer dementen Heimbewohnerin, die sichtlich darunter leidet, wie nach und nach die Erinnerungen aus ihrem Kopf verschwinden. Bedrückend sind auch die Bilder der Frauen, die einfach nur so da sitzen, als warteten sie auf den Tod.
Obwohl nicht viel passiert, ist der achtzig Minuten lange Film erstaunlich kurzweilig, selbst wenn der Prolog mit seinen Anleihen beim Spionage-Thriller falsche Erwartungen weckt. Sergio muss erst mal lernen, wie sein Spionagewerkzeug funktioniert: Der Detektiv stattet ihn mit einem Kugelschreiber und einer Brille aus, in denen sich Mikrokameras befinden. Das hat gleich zu Beginn eine verblüffende Einstellung zur Folge: Als Sergio die Brille aufsetzt und sich in der Detektei umschaut, geraten auch die Regisseurin und ihr Team ins Blickfeld. Außerdem muss sich der alte Mann verschiedene Codes einprägen, die er allerdings immer wieder vergisst. Dieses Drumherum wirkt jedoch wie ein Versuch, die überschaubare Handlung aufzupeppen, denn nach der Einführung dokumentiert Alberdi ausschließlich den überwiegend ereignislosen Alltag im Heim.
Angesichts der starken Diskrepanz zwischen Frauen und Männern (40 zu 4) wird Sergio, der gern Komplimente macht ("Sie sehen fantastisch aus") und sich auch schon mal mit Handkuss verabschiedet, umgehend zum Hahn im Korb, was allerdings gemischte Gefühle in ihm weckt. Eine Dame würde ihn umgehend heiraten; das geht ihm dann doch zu weit. Immerhin lässt er sich im Rahmen einer Party, bei der auch ohne Alkohol eine ausgelassene Stimmung wie auf einem Kindergeburtstag herrscht, zum König des Altenheims krönen, und als ihm anlässlich seines Geburtstags ein Ständchen gebracht wird, übermannt ihn die Rührung. Zwischendurch erinnert Alberdi allerdings immer wieder daran, dass ihr Protagonist nur eine Rolle spielt. Im Grunde ähnelt Sergios Vorgehensweise der Methode eines Enthüllungsjournalisten, der die Ergebnisse seiner Recherche selbst präsentiert. Anders als die Dokumentationen etwa mit Günter Wallraff ist "Der Maulwurf" allerdings nicht mit versteckter Kamera entstanden, weil Alberdi gegenüber der Heimleitung eine plausible Erklärung für die Anwesenheit der Kamera gefunden hat.