Berlin (epd). Der Bundestag hat den Weg für den Ausstieg Deutschlands aus der Kohle frei gemacht. Nach einstündiger Debatte stimmte die Mehrheit der Abgeordneten am Freitag für das Kohleausstiegsgesetz. Demnach werden bis spätestens 2038 alle Stein- und Braunkohlekraftwerke abgeschaltet - wenn möglich bis 2035. Dafür war ein Hammelsprung nötig: Weil einige Unionsabgeordnete laut Bundestagspräsidium gegen das Gesetz gestimmt hatten, blieb zunächst unklar, ob eine Mehrheit zustandekommt. Beim Hammelsprung verlassen die Abgeordneten den Plenarsaal und betreten ihn dann wieder durch eine von drei Türen, die jeweils für Ja, Nein oder Enthaltung stehen.
Das Ende der Stromerzeugung mit Kohle soll Deutschland dabei helfen, die Klimaziele für 2030 zu erreichen: Bis dahin muss die Energiewirtschaft den Ausstoß von Treibhausgasen um etwa 62 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 verringern. Angenommen wurde vom Bundestag auch das Strukturstärkungsgesetz, das die Kohleregionen mit Investitionen im Umfang von bis zu 40 Milliarden Euro vor dem wirtschaftlichen Ruin bewahren soll. Aus der Opposition gab es Kritik an Zeitplan und den vorgesehenen Entschädigungszahlungen für die Kraftwerksbetreiber in Höhe von gut vier Milliarden Euro.
Den Grünen, die das Kohleausstiegsgesetz ablehnten, den Subventionen für die Kohleregionen aber zustimmten, dauert der Ausstieg viel zu lange. "Sie hätten die Chance gehabt, heute hier etwas wirklich Historisches zu schaffen", sagte die Parteivorsitzende Annalena Baerbock an die Adresse der Regierung. Stattdessen legten Union und SPD ein Gesetz vor, dass die Kohle noch bis 2038 absichere. Dem könne ihre Partei nicht zustimmen, sagte Baerbock.
Um die Klimaziele einzuhalten sei ein Ausstieg bis 2030 notwendig, betonte die Grünen-Chefin. Stattdessen sei das Kohleausstiegsgesetz an entscheidenden Stellen aufgeweicht worden. Damit lege die Koalition künftigen Regierungen Steine in den Weg, das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten. Das internationale Abkommen hat das Ziel, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf "weit unter" zwei Grad Celsius zu beschränken.
Der Linken-Parlamentarier Lorenz Gösta Beutin sagte, es sei das Verdienst der Klimabewegung, dass es überhaupt zum Kohleausstieg komme. Die Milliardenentschädigungen für die Kohleindustrie seien aber "ein Verrat" an den Menschen. Er warf der Regierung vor, "Politik für Konzerne" zu machen.
Die FDP erklärte, sie sei für den Kohleausstieg, lehne den Kompromiss aber ab. Die Regierung schaffe keine Rechtssicherheit für die Wirtschaft, sondern "einen planwirtschaftlichen Irrgarten", kritisierte der energiepolitische Sprecher der Fraktion, Martin Neumann.
Der AfD-Politike Tino Chrupalla fragte, wo der "fehlende Strom" für die Digitalisierung herkommen solle. Die Windkraft werde das nicht stemmen können. Auch gebe es keinen Ersatz für die "gut bezahlten Industriearbeitsplätze". Er forderte, die Frist für den Ausstieg bis zum Jahr 2050 zu verlängern.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte, neun Jahre nach dem Beschluss zum Ausstieg aus der Atomenergie "beenden wir die Kohleverstromung". Das fossile Zeitalter in Deutschland gehe mit dieser Entscheidung unwiderruflich zu Ende.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der ebenfalls im Plenum des Bundestags sprach, griff die Kritiker des Gesetzes an. Dort wo etwas Großartiges und über Generationen Wirkendes entstehe, "ist parteipolitisches Klein-Klein fehl am Platze".
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und Klimapolitiker Matthias Miersch mahnte: "Ein solches gesellschaftspolitisches Großprojekt geht nur miteinander, nicht gegeneinander." Er appellierte an alle Seiten, im Dialog zu bleiben. Die Aachener SPD-Politikerin Claudia Moll verteidigte als "Bergarbeiterkind" das Regelwerk. "Wesen eines guten Kompromisses ist es, wenn keiner der Beteiligten zu 100 Prozent zufrieden ist", sagte sie. Ihre Rede beendete sie mit "einem stolzen Glück Auf", dem deutschen Bergmannsgruß.
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