"Die Muse des Mörders" ist zwar keine Komödie, aber die Dialoge der Titelfigur sind von einem sardonischen Charme, wie ihn im deutschsprachigen Raum kaum jemand so perfekt versprüht wie Christiane Hörbiger. Sie ist kurz nach der Erstausstrahlung dieses Films im Oktober 2017 achtzig Jahre alt geworden; das ZDF hat ihr damit ein würdiges Geburtstagsgeschenk bereitet. Das galt vermutlich schon für die Dreharbeiten, denn Regie führte ihr Sohn. Sascha Bigler hat nicht lange gebraucht, um erst als Autor und dann als Regisseur aus dem Schatten seiner berühmten Mutter zu treten. Dass Hörbiger vor einigen Jahren die Hauptrolle in seinem Regiedebüt "Meine Schwester" (2013) übernommen hat, wird eine Hilfe gewesen sein, aber Bigler hat sich längst einen eigenen Namen gemacht; er steht spätestens dank der beiden mehr als nur sehenswerten "Kommissar Pascha"-Filme für Krimis, die sich durch einen speziellen Humor auszeichnen.
Das gilt auch für "Die Muse des Mörders", selbst wenn das Drehbuch diesmal von Axel Götz stammt; Biglers Koautor bei "Meine Schwester" hat schon vor dreißig Jahren an den Vorlagen für einige unvergessene "Tatort"-Episoden mit Götz George mitgewirkt ("Zabou", "Moltke", "Der Pott"). So finster wie diesmal ging es damals allerdings selten zu, denn im Grunde ist die Geschichte nur deshalb kein handfester Thriller, weil Götz und Bigler sie mit einem grimmigen Augenzwinkern erzählen. Der Film beginnt mit einer Lesung. Während Madeleine Montana (Hörbiger) ein Kapitel aus einem ihrer Romane vorträgt, wird die Geschichte scheinbar lebendig: Der Fahrer der Liliputbahn im Wiener Prater entdeckt in einem der Waggons die Leiche einer nackten Frau, der die Kehle durchgeschnitten wurde. Der Mord ist jedoch echt und soeben begangen worden, und es wird nicht der letzte bleiben, der sich haarklein an den Vorlagen der Autorin orientiert; der Mörder schickt ihr jedes Mal die entsprechende Buchseite.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Taten sind überwiegend ziemlich grausig und die Bilder entsprechend blutig. "Die Muse des Mörders" ist kein Familienkrimi, zumal schwarzer Humor ohnehin nicht jedermanns Sache ist; aber gerade diese Brechung der Verbrechen macht den großen Reiz des Films aus. Der zweite Mord wird ähnlich harmlos eingeführt: Ein Hund spielt im Wasser, die Kamera schwenkt sanft zu einem Abflussrohr, es folgt eine rasante Fahrt durch die Röhre, die schließlich an einem Auge endet. Die zweite Leiche ist zersägt worden. "Dadaismus trifft Anatomie", kommentiert der Kriminaltechniker, und spätestens jetzt ist klar: Dieser Film will kein gewöhnlicher TV-Krimi sein. Tatsächlich sind die Dialoge mitunter derart durchtränkt von Bissigkeit, Bosheit und Sarkasmus, wie es das in dieser Form nur selten im hiesigen Fernsehfilm gibt. Die besten Duelle liefert sich Mado, wie ihre Freunde sie nennen, mit einem Mann, der ebenfalls mal zu diesem Kreis gehört hat: Major Rupert Bäumer (Fritz Karl) von der Wiener Mordkommission hat sie einst in die Welt der Ermittlungsmethoden eingeführt und wurde zum Vorbild für ihren Romanhelden Tanner, bis ein Ereignis die beiden entzweit hat. Kennen gelernt haben sie sich vor dreißig Jahren, als Bäumer ihrem Sohn das Leben gerettet hat. Oliver Sandberg (Florian Teichtmeister) kümmert sich heute um seine Mutter, so gut es geht; vor allem versucht er, ihren mondänen Lebenswandel einzuschränken, denn Mados Zeit als gefeierte Bestsellerautorin liegt schon eine ganze Weile zurück.
Zu einem überdurchschnittlich guten Krimi wird "Die Muse des Mörders", weil Götz und Bigler die Handlung um diverse Nebenfiguren ergänzen, die nicht nur, aber auch dazu dienen, den drei Hauptrollen größere Komplexität zu verleihen. Oliver hat ein Verhältnis mit einer sehr attraktiven, aber auch sehr verheirateten Auktionärin (Anna Rot); sie reiht sich schließlich ebenso auf der Liste der Opfer ein wie Mados Verleger (Robert Lohr). Bäumers Mitarbeiterin Flo (Cornelia Ivancan) zeichnet sich zunächst dadurch aus, angesichts der Leichenfunde erst mal ihr Frühstück von sich zu geben, entwickelt sich aber mehr und mehr zu einer maßgeblichen Ermittlerin. Zudem sind gerade die drei Hauptrollen vorzüglich besetzt. Fritz Karl ist ohnehin ein Schauspieler, der sich mit Hörbiger auf Augenhöhe messen kann, aber auch Florian Teichtmeister ("Die Toten von Salzburg") ist ihr ein würdiger Dialogpartner. Trotzdem gibt es keine Sekunde lang einen Zweifel daran, dass Hörbiger der Star dieses Films ist, selbst wenn Bigler und sein Kameramann Gero Lasnig, mit dem er neben "Meine Schwester" auch einen bildsprachlich herausragenden ORF-"Tatort" aus Kärnten ("Unvergessen") gedreht hat, keinen Personenkult betreiben. Dagegen spricht schon allein eine Einstellung, in der Mado ihr ungeschminktes Spiegelbild betrachtet und nüchtern feststellt: "auch noch da". Wenn sie sich andererseits als Diva inszeniert, hat das immer einen ironischen Unterton. Natürlich bekommt Hörbiger auch mehrmals Gelegenheit für ihre berühmten indignierten Blicke; ihre bösen Dialoge wiederum trägt sie mit unnachahmlicher Trockenheit vor. Die zurückhaltende Farbgebung sowie die lauernde Musik lassen dennoch von Anfang an keinen Zweifel daran, dass "Die Muse des Mörders" keine Komödie ist, sodass selbst eine Alptraumszene, in der das Blut nur so aus den Kriminalromanen in ihren Regalen trieft, nicht übertrieben wirkt.