Sämtliche Handlungsbögen, die sich über mehrere Folgen erstreckt hatten, wurden zu Ende geführt. Infolgedessen ist damals auch das Ensemble deutlich übersichtlicher geworden, was doppelt schade war, und das nicht allein, weil von den prominenten Mitwirkenden allein Katharina Wackernagel und Alexander Held übrig geblieben sind. Die Machtspielchen innerhalb des Teams, die gegenseitigen Verdächtigungen und das daraus resultierende Misstrauen hatten nicht nur einen großen Reiz der Reihe ausgemacht, sie waren auch so etwas wie das Alleinstellungsmerkmal von "Stralsund". Damit soll jetzt Schluss sein, findet Hauptkommissarin Seibert (Therese Hämer) aus dem Polizeipräsidium Rostock. Sie will Nina Petersen (Wackernagel), ohnehin schon Interimsleiterin der Mordkommission, zur neuen Chefin machen; Mauscheleien, Intrigen und Korruption sollen endgültig der Vergangenheit angehören. Später stellt sich raus, dass sie den Job auch Karl Hidde (Held) angeboten hat; ganz vorbei sind die Mauscheleien also nicht. Auch die internen Spannungen kehren alsbald zurück, denn Petersen macht aus ihrer Abneigung gegen Seibert (die mittlerweile längst wieder ausgeschieden ist) keinen Hehl, zumal die Kollegin der Meinung ist, die Kommissarin sei mit dem aktuellen Fall überfordert. Trotzdem hinterlässt gerade Michael Rotschopf eine große Lücke: Gregor Meyer war als Chef eine ausgesprochen polarisierende Figur; und das nicht nur wegen seiner Mobbingsprüche beim einbeinigen Hidde. Petersen wiederum scheint ihre körperlichen und vor allem die erheblichen seelischen Verletzungen ohne Nachwirkungen hinter sich gelassen zu haben.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Aus kriminalistischer Hinsicht hat dies den Vorteil, dass sich die beiden Ermittler gemeinsam mit dem jungen Kollegen Uthman (Karim Günes) voll und ganz auf den aktuellen Fall konzentrieren können: Nach Feierabend ist beim Überfall auf einen Supermarkt eine Mitarbeiterin erschossen worden. Ihre unter Schock stehende Kollegin Monika (Sylta Fee Wegmann) ist einfach nach Hause gegangen; die Leiche wurde von zwei Mitgliedern einer sogenannten Nachbarschaftsstreife gefunden. Die Aufnahme aus der Überwachungskamera des Parkplatzes deckt allerdings eine Ungereimtheit in Monikas Aussage auf: Der Raubmörder war viel länger im Supermarkt, als sie angegeben hat. Tatsächlich stellt sich raus, dass er keineswegs nur den Tresor ausgeräumt hat; außerdem war er nicht allein. Der Komplize (Yasin el Harrouk), ein Araber namens Yussuf, hat seinen Ausweis am Tatort verloren, ist von der Bürgerwehr entführt worden und wird nun gefoltert, damit er den Namen des anderen Mannes verrät. Yussufs Leiche hängt kurz drauf am Hafen, versehen mit einem Pappschild: "Wenn ihr uns nicht schützt, schützen wir uns selbst".
Die Handlung erinnert zumindest in ihren Gründzügen an einen "Tatort" aus Köln, "Wacht am Rhein", den die ARD damals im gleichen Jahr gezeigt hat. Auch darin ging es um die Früchte des Zorns einiger besorgter Bürger, die einen mutmaßlichen arabischen Mörder mit Folter dazu bringen wollten, ein Geständnis abzulegen, und auch dort gab es einen demagogischen Biedermann, der die Menschen mit populistischen Reden aufwiegelte. Diese Rolle spielt in "Kein Weg zurück" Ulrike Krumbiegel als Universitätsdozentin, die vor Überfremdung warnt und zu "alternativen Denkmustern" inspirieren will; und dann tut sie ganz überrascht, als die Geister, die sie rief, ihren Worten Taten folgen lassen. Dass der Biedermann diesmal eine Frau ist, setzt einen zusätzlichen Reiz.
Das Drehbuch stammt wie alle vorherigen von Martin Eigler und Sven Poser. Eigler hat die ersten fünf Filme auch inszeniert, bei den weiteren oblag die Regie mit einer Ausnahme Lars-Gunnar Lotz. Auf ihn folgte nun Florian Froschmayer. Der Schweizer hat mit dem Selbstjustiz-Thriller "Ihr werdet gerichtet" 2015 einen der wenigen wirklich guten "Tatort"-Beiträge aus Luzern gedreht. Seine Arbeit mit den Darstellern ist ebenso vorzüglich wie in den früheren Episoden der Reihe. Gerade Sylta Fee Wegmann beeindruckt als Opfer: Weil die traumatisierte Supermarktangestellte nicht viel Worte macht, arbeitet die Schauspielerin sehr ausdrucksstark mit den Augen. Gelungen ist auch die entsprechende Rückblendenkonstruktion, die nur das zeigt, was auch Monika preisgibt. Einfach, aber wirkungsvoll ist schließlich die Idee, das Opfer bei der ärztlichen Untersuchung exakt die gleiche Körperhaltung einnehmen zu lassen wie bei der Heimsuchung durch den Täter. Mit der unterkühlten Bildsprache, ohnehin ein Markenzeichen vieler ZDF-Krimis, knüpft "Kein Weg zurück" auch optisch an die letzten Filme an. Eine der in dieser Hinsicht eindrucksvollsten Szenen spielt gegen Ende nachts im Wald, als Petersen und Hidde die Männer der Bürgerwehr verfolgen. Kameramann Christoph Chassèe setzt sich zwar über das Gebot hinweg, dass es dunkel zu sein hat, wenn keine künstlichen oder natürlichen Lichtquellen zu sehen sind, aber die indirekte Beleuchtung sorgt für faszinierende Bilder. Die ansonsten gute elektronische Musik (Oliver Kranz) donnert dagegen mitunter ein bisschen zu sehr und wirkt daher, als sei sie fast eine Nummer zu groß für diesen Film.