Das TV-Drama "Herzjagen", eine Koproduktion zwischen dem ORF und dem Bayerischen Rundfunk, basiert auf dem Roman "Herznovelle" der österreichischen Schriftstellerin Julya Rabinowich. Deren Landsfrau Elisabeth Scharang hat aus der Vorlage einen jener Filme gemacht, denen Kritiker gern das Prädikat "Kunst" verleihen, was wiederum viele Zuschauer nicht zu Unrecht als Warnung verstehen. Tatsächlich müssen lebensbejahende Menschen weit über ihren eigenen Horizont schauen, um die Lethargie der Hauptfigur nachzuvollziehen. Seit der Operation beginnt Caroline (Martina Gedeck), sich von ihrem Mann (Rainer Wöss) zu entfremden. Außerdem wird sie von Alpträumen und Panikattacken geplagt. Als sie nach einem Nervenzusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert wird, setzt sie ihre Hoffnungen erneut auf den Herzchirurgen Hoffmann (Anton Noori), der sie operiert hat. Sie beginnt, den Mann zu verfolgen, und macht ihm erst Vorwürfe ("Sie haben mir meine Ruhe genommen") und dann Avancen, die bei anderer Rollenverteilung eindeutig den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllen würden. Schließlich ist es ausgerechnet der Tod, der sie aus ihrer Erstarrung befreit.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Scharang hat die Vorlage von viel Ballast befreit. Trotzdem wirkt ihr Film immer noch sehr literarisch. Großen Anteil an einer gewissen Weltfremdheit hat auch das entrückte Spiel von Martina Gedeck, deren Darbietungen mitunter recht bühnenhaft anmuten, was wiederum zur Konstruiertheit der Handlung passt. Deshalb wirken die Figuren auch wie in ihrer jeweiligen Rolle erstarrt: Der Arzt ist melancholisch, die Schwiegermutter eine Nervensäge, der Ehemann versteht das Verhalten seiner Gattin nicht, bleibt aber rührend besorgt. Wirklich überraschend ist allein die Entwicklung jener Ärztin, die schließlich für Carolines Erlösung sorgt, zumal die Beziehung geschickt eingefädelt ist. Die beiden Frauen begegnen sich zunächst bloß akustisch: Auf dem Klinikklo hört Caroline, wie sich eine Frau die Seele aus dem Leib hustet. Später trifft sie sie "in zivil" am Snack-Automaten. Das Publikum weiß mittlerweile, dass Erika Pielach (Ruth Brauer-Kvam) die Psychiaterin des Krankenhauses ist; Caroline hat davon keine Ahnung, sie hält die Frau für eine Patientin und ist entsprechend verblüfft, als sich das Missverständnis aufklärt. Das Gesprächsangebot der Ärztin lehnt sie trotzdem ab. Es ist allein dem Zufall zu verdanken, dass die beiden schließlich doch noch ins Gespräch kommen. Das Finale ist zwar einigermaßen unglaubwürdig, erfüllt aber seinen schockierenden Zweck.
Optisch ist "Herzjagen" immer dann am interessantesten, wenn deutlich wird, wie sehr die Hauptfigur neben der Spur ist. Gerade der erste Akt ist im Grunde eine Aneinanderreihung von Momentaufnahmen, manche real, andere halluziniert oder geträumt. Die Effekte sind zum Teil verblüffend, wenn beispielsweise auf einer Ultraschallaufnahme ein Herz verpufft. Dieses Bild steht für Carolines anfängliche Angst vor der Operation: Sie fürchtet, nicht mehr aufzuwachen, und sagt den Eingriff kurzerhand ab, ohne ihren Mann zu informieren. Im Traum sieht sie sich mehrfach als Astronautin. Eine entsprechende Einstellung während der Narkose, als sie durchs All schwebt, wirkt wie eine Reminiszenz an Stanley Kubricks Klassiker "2001 – Odyssee im Weltraum". Nach der Operation benimmt sich die Patientin jedoch wie ein bockiges Kind. Kurze Szenen sollen ihre nonkonformistische Haltung unterstreichen, demonstrieren aber allzu offenkundig, wie sehr sich Caroline den Erwartungen und Konventionen verweigert.
Diese Haltung gilt in gewissem Sinn auch für Elisabeth Scharangs Stil. "Herzjagen" ist sehr behutsam inszeniert, widersetzt sich aber den typischen Seherwartungen: Wenn’s dunkel ist, dann sieht man nichts. Die früheren Spielfilme der Regisseurin, die auch viel dokumentarisch gearbeitet hat, waren ebenfalls keine leichte Kost: "Mein Mörder" (2005) war ein bedrückender Film über Euthanasie im "Dritten Reich", "Jack" (2015) ein Porträt des österreichischen Serienmörders Jack Unterweger.