Zwischenzeitlich hat er seine Karriere aufs Spiel gesetzt und sie mit einer Falschaussage gedeckt. Seit die LKA-Beamtin mit Hilfe manipulierter Beweise dafür gesorgt hat, dass der Vergewaltiger und Mörder Guido Wachs für eine Tat ins Gefängnis musste, die er gar nicht begangen hat („Für Janina“, 2018), bewegt sich die Beziehung des Duos auf einer neuen Ebene: Wachs schickt der Kommissarin regelmäßig Briefe, um an ihr schlechtes Gewissen zu appellieren. Bukow ist auf diese Weise in eine Beschützerrolle gewachsen, in der er sich sichtlich wohlfühlt. In einer Szene nimmt er die entkräftete König kurzerhand auf die Arme, um sie in ihre Wohnung zu tragen. Ein zutiefst berührender Moment; wie King Kong und die weiße Frau.
Regisseur von „Der Tag wird kommen“ ist wieder Eoin Moore. Der Schöpfer des „Polizeiruf“-Duos hat nicht nur die meisten Episoden mit Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner inszeniert, sondern auch die besten. Deshalb klappt nun, was beim letzten Mal nicht funktioniert hat: In „Söhne Rostocks“ (ausgestrahlt im Januar) war der alte Fall mit den gefälschten Indizien nur eine Nebenhandlung, aber wesentlich spannender als die eigentliche Ermittlung. Das Drehbuch zur 22. Episode ist von Florian Oeller. Er gehört wie Moore zu den Stammautoren der Krimis aus Rostock (dies ist sein fünfter Beitrag) und hat zuletzt den interessanten Furtwängler-„Tatort“ über junge Neonazis („National Feminin“) sowie die Polit-Thriller-Trilogie „Tödliche Geheimnisse“ geschrieben (alle ARD).
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Oellers Geschichte ist eine äußerst geschickte Verknüpfung dreier Ebenen, die anscheinend nichts miteinander zu tun haben: Beim Morgenjogging am Hafen sieht König, wie zwei zwielichtige Typen eine junge Frau bedrohen. Sie mischt sich ein, wird niedergeschlagen, wacht im Krankenhaus wieder auf und bekommt gerade noch mit, wie auch die sterbende Frau eingeliefert wird. Für Bukow gibt es keinen Zweifel, dass die beiden Schläger sie auf dem Gewissen haben, aber König spürt, dass mehr dahinter steckt. Die Kommissarin hat jedoch eine Gehirnerschütterung erlitten und scheint nicht mehr ganz zurechnungsfähig. Tatsächlich stimmte schon vorher was in ihrem Kopf nicht: Sie kann nicht schlafen, hört Stimmen und leidet unter einem rätselhaften Ausschlag. Als sie Wachs im Gefängnis besucht, schlägt ihr der Mörder einen Deal vor: Sie gesteht seine Unschuld an dem Mord, für den er verurteilt worden ist, er gibt dafür die viele Jahre zurückliegende Tat zu.
Die dritte Ebene führt in eine völlig andere Richtung. Kollege Pöschel (Andreas Guenther) bewirbt sich für die Leitung des Rauschgiftdezernats und ist einem großen Fall auf der Spur: Ein Drogenhändler ist in die Stadt zurückgekehrt und bittet Bukows Vater um Hilfe. Veit Bukow (Klaus Manchen) war einst eine echte Unterweltgröße, ist aber nun ein alter Mann und zudem unheilbar krank. Offenbar will er es noch mal wissen und hat keine Ahnung, dass er bloß eine Figur in einem teuflischen Komplott ist, das Katrin König um den Verstand bringen soll. Der Reiz des Films liegt ohnehin in der Raffinesse, mit der Oeller die Geschichte ausgeklügelt hat. Der letzte Akt sorgt für diverse Verblüffungen und mündet schließlich in ein Finale, bei dem Bukow den Widersacher regelrecht zerschmettert, ohne ihm ein Haar zu krümmen.
Dank Sarnau und Hübner waren selbst die wenigen weniger sehenswerten Episoden aus Rostock sehenswert. Hier setzen beide noch eins drauf: Es ist nicht nur das Make-up, das König mehr und mehr zur wandelnden Leiche werden lässt; und Hübner hat eine grandiose Szene, als Bukow die zwei Ganoven mit einer wunderbaren Showeinlage zum Reden bringt. Trotzdem ist Peter Trabner der heimliche Star des Films: Wie er den offenbar omnipotenten Strippenzieher Wachs gleichermaßen als reuigen Sünder wie als Narzissten verkörpert, ist großes Schauspiel. Interessant ist auch die Bildgestaltung durch Andreas Höfer, der seine Kamera bei den Szenen mit der zunehmend umnachteten Kommissarin mit einer Makrolinse versehen hat. Auf diese Weise fokussiert sich das Bild wie beim vielzitierten Tunnelblick komplett auf die Schauspielerin.
„Der Tag wird kommen“ ist nicht nur ein außergewöhnlich guter Krimi, der Film markiert auch so etwas wie einen Endpunkt in der langen Geschichte zwischen Bukow und König. Im Grunde lässt sich die Beziehung kaum noch steigern; würde der NDR verkünden, dies sei der letzte Fall für das Duos aus Rostock, hätte der Sender den perfekten Zeitpunkt für den Ausstieg gefunden.