So ähnlich ergeht es auch dem knapp achtzig Jahre alten Xaver (Branko Samarovski), selbst wenn die Umstände gänzlich andere sind, denn er hat Land, Frau und Kinder vor fünf Jahrzehnten aus freien Stücken verlassen. Kein Wunder, dass die Münchener Geschwister Mareike, Dietrich und Felicitas (Andrea Sawatzki, Simon Schwarz, Jule Böwe) nicht besonders begeistert sind, als sie einen Anruf vom Sozialamt erhalten und sich um diesen aus Argentinien eingereisten Fremden kümmern sollen, dessen Papiere ihn als ihren tot geglaubten Vater ausweisen. "Ein Greis 14 Tage vor seinem Verfallsdatum", stellt Dietrich mitleidlos fest. Weil Mareikes Versuche, Xaver erst an einer Raststätte auszusetzen und anschließend in einem Seniorenheim zu deponieren, fehlschlagen, landet der völlig mittellose Alte schließlich bei Lehrerin Felicitas, die ihn mit in die Schule nimmt. Dort sorgt Xaver gleich mal für einen Eklat, als er der 16-jährigen Auschwitz-Leugnerin Vanessa (Luisa Römer) eine Ohrfeige gibt, dass sie vom Stuhl fliegt. Ansonsten verhält er sich zwar vergleichsweise unauffällig, aber natürlich wollen ihm die Kinder nicht verzeihen, dass er die Familie einst im Stich gelassen hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Michael Hofmann (Buch und Regie) hätte diese Geschichte auch als Drama erzählen können, zumal die Heimkehr des Vaters eine Eigendynamik in deren Folge die Geschwister ihr Dasein überdenken. Alle drei führen ein Leben, mit dem sie nicht glücklich sind: Dietrich hat das Autohaus seines Schwiegervaters übernommen, hält sich aber nur mit illegalen Tricksereien über Wasser; Mareike, nach eigener Einschätzung eine "beziehungsunfähige hysterische Ziege in den Wechseljahren", traut sich nicht, das Verhältnis zu ihrem jüngeren Geliebten (Andreas Pietschmann) in geordnete Bahnen zu lenken; und die verhuschte Felicitas findet keinen Zugang zu ihrem verschlossenen halbwüchsigen Sohn, den Xaver allerdings prompt aus seinem Schneckenhaus holt. Mit Dietrichs kleiner Tochter versteht er sich ebenfalls prima, und beim Kirmesbesuch zu dritt kommen sich endlich auch Vater und Sohn ein bisschen näher.
Hofmann hat seit seinem Regiedebüt "Der Strand von Trouville" (1998) vor gut zwanzig Jahren inklusive "Nimm du ihn!" gerade mal vier Filme gedreht, aber die waren alle sehenswert. Es folgte das Drama "Sophiiiie!" (2002) mit Katharina Schüttler, die als Nebenfigur auch in der Liebesgeschichte "Seit du da bist" (2016), mitgewirkt hat; dazwischen ist noch "Eden" (2006) entstanden, ein Drama über einen Meisterkoch. In "Nimm du ihn!" hat Schüttler ebenfalls eine Gastrolle: Sie spielt die zuständige Sachbearbeiterin vom Sozialamt, die überzeugt ist, sie tue den Geschwistern etwas Gutes. Ziemlich lustig ist eine zweite Szene im Amt, als Dietrich den Alten zurückgeben will und Martin Brambach in einer weiteren Gastrolle als Amtsleiter auch dank einer waschechten Slapsticknummer für viel Heiterkeit sorgt.
Ansonsten ist der Humor jedoch weniger handfest. Hofmanns Inszenierung lässt den Film auf einem schmalen Grat zwischen Komödie und Tragödie wandeln: Von außen betrachtet mag die Handlung immer wieder lustig sein, aber natürlich ist es im Grunde ziemlich traurig, wie Xaver von einem zum anderen wandert, weil die Kinder ihren Erzeuger selbst dann noch schnellstmöglich wieder loswerden werden, als schließlich rauskommt, warum ihr Vater das Weite gesucht hat. Schuld war ein von den Kindern "Onkel Tauti" genannter Maler, mit dem ihre Mutter Jutta in den wilden Sechzigern offenbar eine Affäre hatte. Als sie sich eines Besseren besann, war Xaver schon weg; ihre Briefe sind unzustellbar zurückgekommen. Seit damals ist Tautenberg (noch eine Gastrolle, diesmal für Martin Umbach) zu einem der wichtigsten deutschen Künstler geworden, für dessen Bilder astronomische Summen gezahlt werden, und Xaver kennt das Versteck eines Jutta-Akts aus der Frühzeit des Malers. Es befindet sich im früheren Heim der Familie, das heute einem Anwalt (Thomas Limpinsel) gehört; und der ist der Vater von "Nazi-Scheiß"-Schülerin Vanessa. Mit dem Schluss, als sich rausstellt, dass Xaver lebenslanges Wohnrecht in dem Haus genießt, schafft Hofmann sogar die Voraussetzung für eine Fortsetzung.