Weil man das Titelwortspiel beim MDR vermutlich recht witzig fand, hat man sich damals entschieden, aus dem eigentlich als singuläres Ereignis geplanten, aber in der Tat sehr amüsanten Auftritt des ermittelnden Ehepaars Lessing & Dorn regelmäßige "Tatort"-Episoden mit ähnlich lustigen Titeln zu machen: "Der wüste Gobi", "Der kalte Fritte", "Die harte Kern" etcetera. Nicht alle Filme konnten an das Niveau des Auftakts anknüpfen, aber meist waren die Dialoge witzig genug, um zu verdecken, dass die Geschichten des Autorenduos Murmel Clausen und Andreas Pflüger mitunter recht dünn waren. Nun folgt mit "Der letzte Schrey" bereits der zehnte Schmunzelkrimi aus Weimar, doch diesmal funktioniert das Schema nicht. Der Film ist zwar keine Zeitverschwendung, aber Clausen, der die Drehbücher seit dem Rückzug von Pflüger nun allein verfasst, scheint eine Art Skurrilitätswettbewerb mit sich selbst ausgerufen zu haben.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Geschichte des Films lässt sich in einem kurzen Satz zusammenfassen: Ein Unternehmer-Ehepaar ist entführt worden. Die Handlung, die der Autor rund um diesen schmalen Kern gestrickt hat, wird im Wesentlichen durch die Dämlichkeit der Kidnapper vorangetrieben; Clausen hatte ganz offenkundig den Ehrgeiz, die beschränktesten Ganoven der "Tatort"-Historie zu kreieren. Der männliche Teil des Duos, ein Mensch namens Zecke (Christopher Vantis), ist einst von Lupo (Arndt Schwering-Sohnrey) festgenommen worden. Das sagt im Grunde alles, denn Lupo ist dümmer, als die Polizei erlaubt. Dass sich die französische Aupair-Studentin von Lessing und Dorn tatsächlich auf eine Beziehung zu Zecke eingelassen haben soll, ist die mit Abstand unglaubwürdigste von diversen wenig überzeugenden Behauptungen dieses Krimis.
Immerhin bleibt der Film dem schwarzen Humor treu, den der makabre Auftakt verspricht. Erstes Opfer der Entführer ist Ginger, der mit einem Fleischhammer erschlagene Schoßhund von Strickmodenkönigin Marlies Schrey (Nina Petri in einer Gastrolle als Mordopfer). Das Haus der Schreys ist ein Alptraum in Pink; Szenenbildner Jürgen Schäfer hatte bestimmt viel Freude bei der Ausstattung. Die Flucht von Zecke und Kumpanin Freya (Sarah Viktoria Frick) mitsamt dem entführten Ehepaar verläuft allerdings nicht reibungslos. Zuerst erwischt es die eine, dann die andere Frau. Von den beiden Männern wird ebenfalls nur einer wieder heimkehren, was Dorn und Lessing vermuten lässt, Gerd Schrey (Jörg Schüttauf) habe das Verbrechen gemeinsam mit seinem Sohn Maik (Julius Nitschkoff) inszeniert, um die marode Firma zu retten; schließlich hat er kurz zuvor eine Kidnapping-Versicherung abgeschlossen.
Es gibt wie gewohnt einige wunderbar gespielte Momente, und es ist wie stets eine große Freude, Ulmen und Tschirner zuzuschauen, selbst wenn manch’ ein Dialogsatz arg erzwungen klingt ("Dieser Merk kommt mir maikwürdig vor"). Was dem Film fehlt, ist die gewohnte spielerische Leichtigkeit, zumal einige Szenen allzu offenkundig konstruiert wirken. So muss Lessing auf einem Bauernhof in eine Jauchegrube steigen, um ein Beweismittel zu sichern, das er genauso mit einer Schaufel hätte herausfischen können; aber dann hätte er Freyas Leiche nicht entdeckt. Andere Scherze sind ähnlich rustikal, zum Beispiel die lautstarken Verdauungsfolgen einer Schlachtplatte "Mykonos". Gags dieser Art sind nicht jedermanns Geschmack, können aber trotzdem komisch sein; hier sind sie bloß unappetitlich.
Regisseurin Mira Thiel hat zuletzt für die ARD-Tochter Degeto die sehenswerte musikalische Liebesgeschichte "Song für Mia" (2019) gedreht. Ihre Kinofilme bewegten sich dagegen eher auf dem Niveau von "Der letzte Schrey": Die Komödie "Gut zu Vögeln" (2015, Buch und Regie) trug ihren derben Titel nicht zu Unrecht, "Unter deutschen Betten" (2017, nur Buch), ebenfalls als Komödie gedacht, war vor allem ein Star-Vehikel für Veronica Ferres als Schlagersängerin, die sich als Putzfrau verdingen muss. Eine darstellerische Gratwanderung sind im "Tatort" auch die Darbietungen von Jörg Schüttauf, der als Entführungsopfer mitunter haarscharf an der Karikatur vorbeischrammt. Das gilt allerdings nur für die zweite Halbzeit; in der ersten ist Gerd Schrey die meiste Zeit gefesselt und geknebelt. Wenigstens Immerhin bietet das Finale den handelnden Personen, sofern sie überlebt haben, eine große Bühne. Außerdem erfreut der Film durch viele originelle Einfälle und die sehr ungewöhnliche Musik des vielbeschäftigten Duos Dürbeck & Dohmen.