"Vom Shutdown gab es für die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften keine Ausnahmen", heißt es in einem Beitrag des Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien für die Zeitschrift "zeitzeichen" (Juni-Ausgabe).
Religion, so die Lehre der zurückliegenden Monate, sei in der säkularen Gesellschaft nicht "systemrelevant". Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe sich in einer ihrer seltenen Fernsehansprachen im März an die deutsche Bevölkerung gerichtet, ohne die Kirchen, Diakonie und Caritas auch nur in einem Halbsatz zu erwähnen. Dies alles führe ernüchternd vor Augen, "wie säkular unsere Gesellschaft inzwischen ist".
Seelsorger werden gar nicht gerufen
"Kirchen, Synagogen und Moscheen wurden geschlossen, öffentliche Gottesdienste und das Freitagsgebet untersagt, während Baumärkte und Gartencenter geöffnet blieben oder gleich nach Ostern wieder aufsperren durften", fügte der evangelische Sozialethiker hinzu: "Religiöse Familienfeiern mussten weitgehend unterbleiben, Trauungen und Taufen verschoben werden. Beerdigungen durften nur im engsten Familienkreis stattfinden, und die Klinikseelsorge wurde vielfach aus den stationären Einrichtungen ausgesperrt, es sei denn, sie ist fester Bestandteil des Behandlungsteams." Manche Seelsorger in Rufbereitschaft hätten die kränkende Erfahrung machen müssen, "von Angehörigen gar nicht gerufen zu werden".
Wenn in der Pandemie die bange Frage nach der ungewissen Zukunft gestellt worden sei, "spielten Naturwissenschaftler und Ökonomen die Rolle säkularer Propheten", so Körtner: "Im Ausnahmezustand entdeckten Gesellschaft und Politik, wie wichtig nicht nur Ärzte und Pflegekräfte, sondern auch Polizisten, Soldaten und Verkäuferinnen sind. Ihnen wurde öffentlich applaudiert. Von Pfarrern und Pfarrerinnen war nicht die Rede."
Einschränkungen klaglos akzeptiert
Auch die Kirchenleitungen agierten Körtner zufolge im Corona-Krisenmodus erstaunlich defensiv. Die Kirchen hätten die massiven Eingriffe in die Ausübung der Religionsfreiheit mehr oder weniger klaglos akzeptiert, weil sie ihren Beitrag zur Eindämmung der Ansteckungsgefahr leisten wollten. Das lasse sich ethisch zwar gut begründen. Gleichzeitig akzeptierten sie damit die gesellschaftliche Führungsrolle der Wissenschaft. Die Corona-Pandemie werde damit zum Lehrstück für die Säkularisierung und Privatisierung von Religion in westlichen Gesellschaften, "die sich in der Privatisierung des Sterbens und der Trauer in Zeiten von Corona verstärkt".
Es gehöre zum Selbstverständnis der beiden Volkskirchen, dass die Kirchen zwar nicht unmittelbar Politik machen, wohl aber Politik möglich machen wollen. Gemessen an diesen Vorstellungen hätten Theologie und Kirchen in der Corona-Krise "eine starke Kränkung erfahren".