Ich liebe diese Jahreszeit. Der Geruch von Flieder und das frische Grün! Ich habe mich am 1. Mai verliebt.
Aber in diesem Jahr hat es der schönste Frühlingsmonat schwer. Zu viele schlechte Nachrichten verstellen den Horizont: Eine drohende Weltwirtschaftskrise, Rezession, Kurzarbeit, Depression und Budenkoller. Einige sprechen bereits von der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Schreckliche Bilder aus den vergangenen Wochen haben sich auch bei mir tief ins Gedächtnis eingebrannt: Die Bilder der heillos überfüllten Krankenhäuser in Italien, die Luftaufnahmen von den langen Gräberreihen in New York, die Kamera-Schwenks über die drangvolle Enge in den Flüchtlingslagern auf Lesbos.
Die Verzweifelten in Indien, die nicht nur vom Virus, sondern auch nach dem "Shutdown" vom Hunger bedroht sind. Dazu die bedrückenden Geschichten in der heimischen Tageszeitung und die unerwarteten Todesanzeigen. Der heiße Schreck, wenn ich jemanden persönlich kenne, wie wir es erleben mussten. Der plötzliche Tod eines lebensfrohen und so geschätzten Kollegen.
Und als wäre das alles noch nicht genug, droht neben der Pandemie jetzt auch noch eine Infodemie - eine Infektion der Gesellschaft mit wirren Falschmeldungen von falschen Propheten. Eine neue Studie hat gezeigt, dass sich Falschnachrichten und krude Verschwörungstheorien sechsmal so schnell verbreiten wie seriöseMeldungen und Tatsachen.
Die dunklen Geschichten drohen unseren Geist und unsere Seelen in diesen Maitagen zu infizieren - wie böse Geister.
Wir blicken so gebannt auf diese Geschichten, dass wir keine Augen mehr für das Wunder haben.
Im 9. Kapitel des Markusevangeliums hat mich eine kleine, aber feine Geschichte wiedergefunden, eine helle Geschichte in der es auch um böse Geister geht.
"Der Jünger Johannes sprach zu ihm: ‚Meister, wir sahen einen, der trieb böse Geister in deinem Namen aus, und wir verboten`s ihm, weil er uns nicht nachfolgt.‘ Jesus aber sprach: ‚Ihr sollt`s ihm nicht verbieten. Denn niemand, der ein Wunder tut in meinem Namen, kann so bald übel von mir reden. Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns."
Böse Geister austreiben, das würde in diesen Tagen gerne können! Der bösen Macht der dunklen Geschichten in Seele und Geist entgegentreten, ihnen Einhalt gebieten! - Wer das kann, ist ein Wundertäter - auch heute:
So wie Torsten Juch und sein beeindruckendes Team in Wolfsburg. In meinen Augen sind sie Wundertäter. Obwohl sie das selbst wohl weit von sich weisen würden.
45 Menschen sind dort in den letzten Wochen und Tagen an Corona gestorben. 45, fast ein Viertel der Bewohnerinnen und Bewohner in kürzester Zeit! "Wir können mit dem Sterben schon umgehen in unserem Haus", sagte mir Thorsten Juch am Telefon, "aber so viele Abschiede in so kurzer Zeit, das ist auch für uns kaum auszuhalten".
Trotz der 43 verstorbenen Menschen stemmen sie sich gegen die Macht der dunklen Geschichten. Sie hören einfach nicht auf, tatkräftig und kreativ, professionell und menschenfreundlich zu sein.
Jeden Tag treiben sie böse Geister aus. Auch bei sich selbst: die bösen Geister der eigenen Hoffnungslosigkeit, ihre Versagensgefühle und ihre eigene Verzweiflung angesichts von so viel nicht aufzuhaltendem Sterben und so viel Leid bei Bewohnerinnen, Bewohnern und Angehörigen - in so kurzer Zeit! Sie trösten, pflegen und versuchen alles für die ihnen anvertrauten Menschen zu tun. Diese Menschen leisten Wunderbares. In Wolfsburg, in Moers und anderswo halten sie mit kaum zu erklärender Energie dagegen. Die Kraft der Auferstehung, die Christen bekennen, begegnet uns mitten im Alltag. Thunfischbaguettes wirken wie Manna in der Wüste. Menschen wie Gabi mit der Mundharmonika, wie Thorsten Juch und sein beeindruckendes Team sind Alltagsheldinnen und -helden der Hoffnung.
Und solche Menschen sind überall! Sie finden sich nicht ab mit der Aussichtslosigkeit, sondern schaffen Aussichtspunkte - mit der Mundharmonika, mit Zuwendung und Hingabe. So, dass Menschen selbst unter der Sauerstoffmaske mitzusingen beginnen.
Die Wundertäterinnen und Alltagshelden, die Stars und Sternchen dieser neuen Oster-Geschichten sind ganz normale Menschen, stinknormale Wundertäter. Sie stärken das Rettende trotz der scheinbaren Übermacht der Gefahr. Sie säen Hoffnung, Liebe und Vertrauen. Machen kein Gewese darum, und schaffen es fast nie in die Zeitung, ins Fernsehen oder auf die Social-Media-Plattformen. Dabei sollten gerade diese Geschichten um die Welt gehen.
Vielleicht haben Sie das Glück, so einen Kollegen in ihrem Team zu wissen, mit dem trotz allem Bedrückendem jeden Tag die Sonne ins Büro kommt? Oder wohnt neben Ihnen auch eine Nachbarin wie Tante Anni? So hieß der gute Geist unserer Kindheit und Tante Anni war in ihrer unerschütterlichen Menschenfreundlichkeit und mit ihren frisch gebackenen Mutzenmandeln für uns Kinder einfach wunderbar.
Wundertäterinnern und Alltagshelden können überall wirken: an der Kasse im Supermarkt, als Polizistin oder als Mutter, oder als Sacharbeiterin in der Arbeitsagentur, Kindergärtnerin in der Notversorgung oder Reinigungskraft im Krankenhaus. Wenn sie da sind, verändern sie ihre Umwelt immer wieder aufs Neue zum Besseren und machen sie heller für alle. Der Auferstandene begegnet uns überall. Wir finden solche Menschen eben nicht nur zwischen Kirchenmauern; oft da, wo wir es gar nicht erwarten oder wahr haben wollen.
Viele erfahren bis heute viel zu wenig Wertschätzung – angefangen beim Gehalt bis hin zu ihrer Repräsentanz in unseren Parlamenten, in denen auch Krankenschwestern und Altenpfleger unterrepräsentiert sind. Das endlich zu ändern ist aktuell eine der wichtigsten Aufgaben in unserer Gesellschaft.
Denn all diese Menschen wirken als Hoffnungsträgerinnen. Für mich sind sie wie Maria Magdalena, Salome, Johanna und der ungläubige Thomas in den nachösterlichen biblischen Geschichten Sympathisanten von Ostern. Ob sie in unseren Gottesdiensten auftauchen oder nicht, ob sie mit unserer Art zu glauben etwas anfangen können oder nicht: Sie kommen von Ostern her. In ihnen sprudelt der überquellende Überschuss der Ostererfahrung.
Wie in dieser hellen, kleinen, aber feinen Geschichte aus dem Markusevangelium vom fremden Wundertäter, mit dem die Jünger Jesu ein echtes Problem haben:
Da tut jemand Gutes, sogar in Jesu Namen, aber er gehört doch gar nicht dazu, ist gar kein Jünger Jesu. Doch Jesus fürchtet weder den Verlust seines Alleinstellungsmerkmals, noch sorgt er sich um die Verfälschung seiner Lehre: "Wer nicht gegen uns ist, ist für uns."
Von dieser weitherzigen Haltung können wir in Kirche und Diakonie noch eine Menge lernen. Wo geheilt wird "im Namen Jesu", wo Menschen aus bedingungsloser Liebe einfach handeln, da finden wir unsere Verbündeten. Wer Möglichkeiten sieht, wo andere nur Sackgassen erkennen, wer an der Hoffnung festhält, wo die Mehrheit auf die Apokalypse wartet, wer Zutrauen schenkt, wo andere aufgeben, der handelt im Namen Jesu. Der spendet Kraft, Auferstehungskraft. Ob er`s selbst weiß, oder nicht.
So begegnet der Auferstandene, Jesus Christus uns in anderen Menschen. Das glaube ich. Das Aroma der Menschenfreundlichkeit durchzieht den Geruch von Sterben und Desinfektionsmitteln. Da sind Wundertäter am Werk.
Da weht der Geist des Herren. Da finden sich die Freundinnen und Freunde Jesu.
Was das für die Kirche heißt, darüber lohnte sich nachzudenken. Ich bin überzeugt, etwas mehr Demut und zugleich mehr Weitherzigkeit und unbekümmertes Zutrauen in das geheimnisvolle, wunderbare Wirken des Geist des Auferstandenen täte uns gut: "Wer nicht gegen uns, ist für uns."
Und die schlimmen, dunklen Geschichten? Sie sind nicht weniger schlimm und dunkel, aber sie sind - Gott sei Dank - nicht die ganze Wahrheit! Wie wir gleich singen werden: "Der Geist des Herrn durchweht die Welt/ gewaltig und unbändig;/ wohin sein Feueratem fällt,/ wird Gottes Reich lebendig."
Wo Liebe mit verantwortlichen Taten und tröstenden Worten Menschen aufrichtet und Seelen auch in großen Nöten zum Singen bringt, weht Gottes Geist durch Intensivstationen und Pflegeheime. Niemand muss bekenntnisstark und wissentlich Jesu nachfolgen, um sich mit Gottes Geist zu verbünden und zu einem Osterlicht für Andere zu werden: "Wer nicht gegen uns ist, ist für uns."
Gabi mit der Mundharmonika, Thorsten Juch und sein beeindruckendes Team und die Sandwichzauberer aus Moers.
Vielleicht fällt Ihnen, liebe Gemeinde, gerade auch jemand ein. Jemand, der Sie gelten lässt. Die sich geduldig für Andere einsetzt und deren unverbrüchliche Wertschätzung und Menschenfreundlichkeit Sie so aufrichtig bewundern. Eine, die vielleicht in ihrem Leben als Wundertäterin gegen böse Geister wirkt?
Vielleicht rufen Sie nachher bei ihr an oder schicken ihm eine SMS oder eine andere Aufmerksamkeit. Und sagen einfach "Danke" - weil sich auch das eben nicht von selbst versteht, bei der Übermacht der schlechten Nachrichten und schrecklichen Bilder bei Licht besehen eigentlich ein kleines Wunder ist. Ein Widerschein des österlichen Lichts! Nehmen Sie das wahr, wie einen warmen Sonnenstrahl in Ihrem Gesicht. Und nehmen Sie es nicht selbstverständlich, sondern sagen: Danke! - Das tut gut und geht auch mit Maske und sogar über anderthalb Meter hinweg. Probieren Sie es! Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne. Und Christus Jesus. Amen.